Jetzt wird’s ernst bei Nachhaltigen Geldanlagen - „ich mach‘ mir die Welt - widdewidde wie sie mir gefällt“ ist vorbei

Über das MiFID-II Zielmarktkonzept und die Rolle der Aufsichtsbehörden

Seit der Jahrtausendwende haben sich Nachhaltige Geldanlagen mit verschiedenen Anlagestilen aus dem Markt heraus entwickelt. Dabei gibt es viele Wege zu (mehr) Nachhaltigkeit. Im Grunde geht es immer um Verhindern, Fördern und/oder Fordern. Oder anders ausgedrückt: Es geht um Divestment, gezielte Investments und/oder die Einflussnahme darauf.
Klassische Methoden Nachhaltiger Geldanlagen, die oft miteinander kombiniert werden, sind Divestments (Ausschlusskriterien), Best-in-Class, Dialogstrategien, thematisch orientierte und sogenannte Impact-Investments. Die Anlagestile decken viele Rendite-Risiko-Ziele von Anlegern in Verbindung mit deren jeweils individueller Erwartung an die Nachhaltigkeit der Geldanlage ab. Kern aller Nachhaltigen Geldanlagen ist die Ausrichtung der Titelauswahl mithilfe eines konkreten Nachhaltigkeitskonzeptes. Lange bevor es sogenannte ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) gab, arbeiteten die ersten SRI-Pioniere (Socially Responsible Investment), die diesen Namen auch verdienen, schon mit Nachhaltigkeitsmodellen, die auf dem Stakeholder-Ansatz beruhten. Die also neben dem Eigentümer (Shareholder) auch die Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, die Umwelt und die Gesellschaft als solches systematisch in eine Unternehmensanalyse integrierten, um mittels sogenannter extra-finanzieller Indikatoren zu einer ganzheitlicheren Bewertung der investierten Unternehmen zu gelangen. Thematisch gab es Häuser, die mit KPIs und sogenannten „Key Sustainability Challenges“, später auch mit den planetaren Belastungsgrenzen arbeiteten, dies bereits lange vor den mittlerweile sehr bekannten 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDGs; die mit den bunten Kacheln). ESG ist allerdings mittlerweile der gebräuchliche Begriff, da dieses Akronym die meisten Themenbereiche der Nachhaltigkeit prägnant zusammenfasst.

Zwanzig Jahre dieser Marktentwicklung haben eine Branche wachsen lassen, die mittlerweile etablierter Bestandteil des Finanzmarkts und aus der Nische herausgewachsen – sozusagen erwachsen geworden ist. Das lange Ringen um Anerkennung ist nicht zuletzt dank verschiedener wissenschaftlicher Metastudien über die auch wirtschaftliche Sinnhaftigkeit dieser Art des Investierens gelungen. Heute gilt es zumindest in Europa sogar treuhänderisch als fahrlässig, ESG-Risiken unberücksichtigt zu lassen. Hier hat ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Normierungen geschahen innerhalb von Angebot und Nachfrage und Standards wurden aufbauend auf Best-Practices aus dem Markt heraus entwickelt. Mittlerweile auch mit der freiwilligen Möglichkeit, diese Standards von unabhängiger Stelle glaubwürdig zertifizieren zu lassen.

Einige Marktteilnehmer gehen sogar soweit und sagen voraus, dass Asset Manager ohne Nachhaltigkeits-Kompetenz langfristig nicht überlebensfähig seien. Gelebte Praxis heute ist jedenfalls, dass viele institutionelle Mandats-Ausschreibungen bereits erfragen, inwieweit ESG-Aspekte Eingang in die Investmentprozesse finden. Es wäre als Produktanbieter also klug, das Thema proaktiv anzugehen, um sich zukünftigem Geschäft nicht zu verschließen. Spätestens 2022/2023 wird man nur noch reagieren können.

Die Frage „Was beinhaltet eine Nachhaltige Geldanlage?“ wird zunehmend von der Regulatorik beantwortet

Das Thema Sustainable Finance ist mittlerweile zu wichtig und vor allem zentrales Zukunftsthema, wollen wir uns bzw. nachfolgenden Generationen nicht gänzlich unsere eigenen Lebensgrundlagen durch die bereits in Gang gesetzten, natürlichen Abwehrkräfte unseres Planeten entziehen. Das hat nichts mit idealistisch-gefärbtem Pathos zu tun, sondern ist leider schlicht und einfach empirisch belegbare Realität. Die Zeiten sind also vorbei, in denen Akteuren auf dem Finanzmarkt völlig freie Hand gelassen wurde, wenn es um die Vermarktung nachhaltiger Finanzprodukte geht und auf dem allein auf Selbstverpflichtungen, Markt-Best-Practices, Ratings und Labels vertraut wird.
Der Game-Changer wird nun ganz klar die neue EU-Regulatorik sein, denn bis spätestens 2022 wird jede*r Finanzberater*in im Anlagegespräch verpflichtet sein, ihre/seine (potenzielle) Kund*innen auf ihre/seine Nachhaltigkeitspräferenzen anzusprechen. Fondsanbieter werden verpflichtet sein, in aufsichtsrechtlich regulierten Offenlegungsstandards über ihre Nachhaltigkeitsmerkmale zu berichten. Mit der Taxonomie grün-nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten wird zusätzlich ein Regelwerk anhand von sechs EU-Umweltzielen geschaffen, die es erlauben, im Zweifel sogar ausrechnen zu können, wie „grün“ ein Unternehmen seine Umsätze bzw. Investitionsausgaben gestaltet. So wie es derzeit aussieht, werden Unternehmen erstmals in den 2023er Bilanzen darüber berichten.

MiFID-II Zielmarkt und das deutsche Verbändekonzept

Im Rahmen der durch Nachhaltigkeit zu ergänzenden Zielmarktbestimmung durch die MiFID-II-Regulatorik arbeiten Deutschlands große und wichtige Finanzverbände, BVI, DDV und DK, an einem Konzept zur Typologisierung für nachhaltige Finanzinstrumente. Dieses noch nicht finalisierte Konzept orientiert sich insbesondere an den beiden Artikeln 8 und 9 der Offenlegungs-Verordnung, die sich konkret an sich mit Nachhaltigkeit vermarktende Produkte richten. Ziel ist, mit Hilfe von vier verschiedenen Kategorien Eigenschaften zu formulieren, die Fonds, Zertifikate und Anleihen vorhalten sollten, damit sie vom Produktanbieter entsprechend selbst deklariert werden können. Im Rahmen einer Arbeitsgruppe auf EU-Ebene (FinDatEx) werden ähnliche Vorschläge der EFAMA und der französischen AFG diskutiert. Insgesamt spielen die Artikel 2(17) und 6(1), 7, 8 und 9 eine große Rolle. Wegen der Besonderheit des deutschen Markts (WM-Daten) sind nach Rücksprache mit der Wertpapieraufsicht (BaFin) entsprechende Datenfelder vorgesehen, die auch in Datenbanken dieser speziellen EU-Arbeitsgruppe integriert werden und die mit Inkrafttreten der Level-II-Bestimmungen (vermutlich am 01.01.2022) zur Offenlegung operativ live geschaltet werden.
Grundsätzlich ist diese Typologisierung ein gutes, differenzierendes Konzept und vor allem sinnvoll, in Summe also zu begrüßen. Rein aus fachlicher Sicht hat es noch vereinzelt kleinere Schwächen. Einige kritische Anmerkungen seien daher in Form nachfolgender Beiträge erlaubt: investESG.eu bzw. Absolut|impact.

Das FNG-Siegel wird als wichtige Orientierungshilfe insbesondere für die Beratung selbstverständlich seinen Platz haben (es wird ein eigenes WM-Datenfeld für SRI-Label geben). Da die Überprüfung der Einhaltung der neuen ESG-Regulatorik, insbesondere die Compliance mit der Offenlegungsverordnung allerdings Zuständigkeit der BaFin ist, wird mit dem FNG-Siegel keine Aussage zu aufsichtsrechtlichen Fragen beantwortet. Dies wird vermutlich Teilaufgabe im Rahmen der Gesamtprüfungsmandate der Wirtschaftsprüfer sein. Unter der Bedingung, dass ein Bewerber die Grundvoraussetzung regulatorischer Compliance bei entsprechender Vermarktung mit Nachhaltigkeits-Charakteristiken erfüllt, bleibt das Ziel des FNG-Siegels, weiterhin für eine Premium-Kennzeichnung Nachhaltiger Finanzprodukte zu sorgen. Das Gütesiegel trifft eine validierte, differenzierende Qualitätsaussage und wird ein zunehmend wichtigeres Argument für Produktanbieter, die dokumentieren möchten, dass man sich erfolgreich einer unabhängigen, umfassenden und intensiven Prüfung gestellt hat.

Die Rolle der BaFin

Die BaFin hat mit ihrem Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken zu kontroversen Reaktionen gerade bei den etablierten, konventionellen Marktakteuren geführt. Die französische Finanzmarktaufsicht AMF hat in diesem Frühjahr sogar Bestimmungen auf Produktebene vorgelegt und eine klare Erwartungshaltung zur Berücksichtigung von extra-finanziellen Kriterien formuliert.
Es geht darum, was ein Produkt an Anlegerinformationen leisten muss, wenn es sich „Nachhaltige Geldanlage“ nennt. Hier greift die französische Aufsicht stark auf Transparenztools wie den Eurosif-Transparenzkodex und das Label ISR zurück, im Rahmen der MiFID-SRI-Beratungsverpflichtung ein nötiger Schritt, um der Zielmarktdefinition klare Leitplanken zu geben. BVI, DK und DDV haben dies übrigens auch in ihrer sogenannten Typologie Nachhaltiger Geldanlagen erkannt und sprechen von Produkten mit dezidierter ESG-Strategie.

So soll vermieden werden, dass z.B. Fonds, die lediglich einige Mindest-Ausschlusskriterien erfüllen und ESG berücksichtigen oder z.B. die sowieso von der EU-Regulatorik geforderte Integration von ESG-Aspekten ins Risikomanagement heranziehen, um sich als Nachhaltigkeits-Produkt zu vermarkten.

Grundsätzlich warten alle nationalen Aufsichtsbehörden auf die aktuell im Rahmen der Konsultation der ESAs noch zu veröffentlichenden technischen Regulierungsstandards (RTS). Von ursprünglich 32 kolportierten Nachhaltigkeitsindikatoren werden voraussichtlich Ende Januar 2021 letztendlich etwa die Hälfte übrigbleiben. Ziel ist es, Maßgaben vorzugeben in Bezug zu Inhalt, Methoden und Darstellung der offenzulegenden Informationen. Uneinigkeit herrscht noch, was das erste Berichtsjahr ist, über welches dann mit Bezug zu 2021 oder 2022 zu berichten sein wird. Hier lesen einige nationale Aufsichten „vollständiges Geschäftsjahr“, was mit der Tatsache der Level-I Verordnung, die am 10. März 2021 in Kraft tritt, dann 2022 wäre (was wiederum zeitlich mit den bis Ende 2022 „durchzudeklinierenden“ ausstehenden vier EU-Taxonomie-Umweltzielen einherginge). Andere (inklusive die BaFin) bereiten sich allerdings darauf vor, dass bereits über 2021 zu berichten sein wird. Grundsätzlich muss ja mit Inkrafttreten der Level-I-Verordnung auch schon über 2021 berichtet werden, was die BaFin in entsprechenden Prüfverfahren auch umsetzen müsste. Da die Finanzaufsicht allerdings, anders als andere Aufsichten (wie z.B. Gesundheit und Lebensmittel) im Kern keine Produktaufsicht betreibt, wird sich ihr Mandat wohl im Rahmen der Vollständigkeitskontrolle bewegen und mit Stichproben punktuell auf Inhalte abzielen. Alles wird sich dann in „Trial-and-Error“-Manier „geraderuckeln“ müssen. Das heißt, es werden anfänglich nicht in großem Stil und systematisch alle zu veröffentlichenden Infos auf Inhalt geprüft werden, u.a. auch deshalb, weil es keinen eigens vorgesehenen Sanktionsmechanismus gibt. Das bestätigen auch Äußerungen des bei der Europäischen Kommission (DG FISMA) für Asset Management zuständigen Sven Gentner.
Als praktische Konsequenz kann daraus abgeleitet werden, dass auch mit Bezug zur Selbstdeklaration für das MiFID-II-Zielmarktkonzept den Wirtschaftsprüfern im Rahmen ihres Gesamtprüfmandats die Teilaufgabe obliegen wird, die neue ESG-Regulatorik in bestehende übergeordnete Prüfaufgaben zu integrieren. Die Frage der Kapazität und des Know-hows der Umsetzung ist offenkundig, da der seit 2017 durch die HLEG-Empfehlungen angekündigte „Elefant nun im Raum steht“. Diese Herkules-Herausforderung erkennend, wird bereits mit Hochdruck seitens der Politik und Rechnungslegungs-Akteure an einem verpflichtenden NFRD-Kontext gearbeitet, in dessen Zusammenhang auch eine weitere Herabsetzung der Schwellenwerte gefordert wird, ab denen Unternehmen dann formell zur Nachhaltigkeit berichten müssen. Die Rede ist hier von einer Zahl an Mitarbeitenden von 100 (bislang 500) und, neuerdings, eine Berücksichtigung von Umsatzschwellen bei personalarmer Geschäftstätigkeit.
Die unabdingbare Notwendigkeit für den Finanzmarkt, systematisch originäre und vergleichbare Daten als Transparenz-Grundlage von den Unternehmen selbst zu erhalten, wird seitens Politik und Regulatorik also angegangen.

 

23. November 2020

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Autor

Roland Kölsch

Portrait Roland Kölsch

Roland Kölsch (Jahrgang 1974, Diplom-Betriebswirt FH) ist seit Januar 2017 Geschäftsführer der Qualitätssicherungsgesellschaft Nachhaltiger Geldanlagen (QNG), die u.a. das FNG-Siegel verantwortet. Sie trägt durch die Zertifizierung von Finanzprodukten, durch Gutachten sowie die Entwicklung von Standards und Dienstleistungen zur Qualitätssicherung nachhaltiger Investments bei. Zuvor war Kölsch selbst als konventioneller und SRI-Portfoliomanager tätig (u.a. bei Deutsche Asset Management und Dexia Asset Management), hielt Vorlesungen über das Thema und leitete das Asset Management einer Schweizer Nachhaltigkeitsbank.

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