Unser Geldsystem befindet sich derzeit im Wandel. Zuletzt wurden zahlreiche bemerkenswerte Projekte angekündigt, die die Digitalisierung des Geldsystems vorantreiben werden. Dazu zählt beispielsweise das von Facebook initiierte Projekt Libra, das bis Ende des Jahres ein weltweites Zahlungssystem erschaffen möchte. Zudem hat China eine eigene digitale Währung namens DC/EP angekündigt. Diese Währung ist sogar bereits seit April testweise in Betrieb.
Beide Initiativen sind von großer geopolitischer Bedeutung und bringen nun auch Europa und die Europäische Zentralbank (EZB) unter Zugzwang. Denn: Sowohl das Libra- als auch das DC/EP-Zahlungssystem werden von außerhalb der EU betrieben. Sollten Libra und DC/EP in großem Maße für Zahlungen verwendet werden und den Euro als Zahlungsmittel zumindest teilweise substituieren, droht der Euro global an Wichtigkeit zu verlieren. Wenn Europa nicht mit einem eigenen digitalen Euro reagiert, wird in wenigen Jahrzehnten ein noch größerer Teil aller Transaktionen über nicht-europäische Zahlungssysteme abgewickelt werden.
Vorteile eines Blockchain-basierten digitalen, programmierbaren Euros
Neben geopolitischen Motiven sprechen auch zahlreiche weitere Aspekte für die Einführung eines digitalen Euros. So könnte der digitale Euro basierend auf einer Distributed-Ledger-Technologie (DLT), häufig auch als Blockchain-Technologie bezeichnet, folgende Vorteile liefern, die besonders für die Industrie von hoher Relevanz sind:
- Programmierbarkeit von Geldflüssen durch Smart Contracts. Ein digitaler, programmierbarer Euro ermöglicht automatisierte Prozesse und Finanzdienstleistungen wie Zinszahlungen, Darlehen, Treuhandkonten, Leasing, und Factoring.
- Interoperabilität eines digitalen Zahlungsmittels über verschiedene Ökosysteme hinweg.
- Ermöglichen von Machine-to-Machine Payments. Ein digitaler, programmierbarer Euro könnte nicht nur von Personen, sondern auch von Maschinen und Geräten, zum Beispiel aus dem Bereich des Internet of Things (IoT), für Transaktionen genutzt werden und wäre deshalb vor allem für die Machine Economy von großem Nutzen.
- Integration von Leistung und Gegenleistung in ein DLT-System. Eine solche Integration würde die Abwicklung von Wertpapieren, digitalisierten Rechten, Vermögenswerten und Dienstleistungen deutlich beschleunigen.
Höhere Effizienz im grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr. Durch die Nutzung einer DLT können weltweite Zahlungen innerhalb von Sekunden durchgeführt und abgewickelt werden.
Ein Fahrplan für den digitalen, programmierbaren Euro
Doch wie genau könnte ein digitaler, programmierbarer Euro eingeführt werden? Aufgrund der weitreichenden Implikationen u.a. für das bestehende Geldsystem handelt es sich um kein leichtes oder kurzfristiges Unterfangen. Der programmierbare Euro sollte zwar mittel- bis langfristig als digitale Zentralbankwährung (CBDC) von der EZB emittiert werden. Allerdings benötigt die Industrie bereits kurzfristig privatwirtschaftliche Lösungen für den digitalen, programmierbaren Euro, um die oben skizzierten Vorteile zu realisieren.
Aus diesem Grund schlagen wir vor, den digitalen, programmierbaren Euro im Rahmen einer Zusammenarbeit des privaten und des öffentlichen Sektors einzuführen:
- Schritt 1: Q3/Q4 2020: Wissen aneignen. Finanzinstitute, Zentralbanken und Aufsichtsbehörden sollten sich das nötige Wissen aneignen, um die Implikationen und insbesondere die Vorteile des digitalen, programmierbaren Euros analysieren zu können und zu verstehen.
- Schritt 2: Q2 2021: Integration von DLT und IBAN-Konten. Der Finanzsektor sollte eine Schnittstelle (API) entwickeln, um die bisherige Zahlungsinfrastruktur in Form von IBAN-Konten mit DLT-Systemen zu verbinden.
- Schritt 3: Q4 2022: Entwicklung eines Token-Standards zur Sicherstellung der Interoperabilität. Der private Sektor sollte einen Token-Standard für den digitalen, programmierbaren Euro entwickeln. Hierbei ist es das Ziel, den digitalen, programmierbaren Euro als DLT-basierten Token zu emittieren, der in verschiedenen DLT-Systemen emittiert und genutzt werden kann und auch zwischen den Systemen interoperabel transferierbar ist.
- Schritt 4: Q1 2024: Ausgabe eines digitalen Euros durch die Europäische Zentralbank (EZB). Die EZB sollte in einem letzten Schritt einen digitalen Euro in Form einer digitaler Zentralbankwährung (CBDC) für die breite Öffentlichkeit ausgeben. Hierbei sollte die EZB die Entwicklungen des privaten Sektors fördern und potenzielle Lücken des zuvor vom Privatsektor ausgegebenen digitalen, programmierbaren Euros schließen.
Europa muss handeln
Ein digitaler, programmierbarer Euro verspricht enorme Effizienzgewinne und ist deshalb besonders für die Industrie von hoher Relevanz. Aus diesem Grund sollten europäische Initiativen rund um den digitalen, programmierbaren Euro intensiviert werden. Hierbei ist eine Zusammenarbeit des privaten und des öffentlichen Sektors besonders erstrebenswert. Es ist laut derzeitigem Kenntnisstand unwahrscheinlich, dass die EZB kurzfristig eine CBDC einführen wird. Allerdings sind bereits heute Marktlösungen für die Industrie erforderlich, um Wettbewerbsvorteile vor allem in Bezug auf programmierbares Geld und Automatisierung zu realisieren. Diese Lösungen müssen kurz- bis mittelfristig vom privaten Sektor zur Verfügung gestellt werden. Eine Integration von DLT und IBAN-Konten und die Etablierung eines Euro-Token-Standards sind hierbei wichtige Zwischenschritte. Europa sollte nun auch aus geopolitischen Gründen die Initiative ergreifen – alternativ drohen unerwünschte Abhängigkeiten im Bereich der Zahlungssysteme.
10. Juli 2020
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Prof. Dr. Philipp Sandner
Prof. Dr. Philipp Sandner ist Leiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) an der Frankfurt School of Finance & Management. Im Jahr 2018 wurde er von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), eine der größten Zeitungen in Deutschland, als einer der “Top 30”-Ökonomen ausgezeichnet. Darüber hinaus gehört er zu den “Top 40 unter 40" - einem Ranking des deutschen Wirtschaftsmagazins Capital. Die Expertise von Prof. Sandner umfasst insbesondere Blockchain-Technologie, Krypto-Assets, Distributed Ledger-Technologie (DLT), Euro-on-Ledger, Initial Coin Offerings (ICOs), Security Token (STOs), Digital Transformation und Entrepreneurship.
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Jonas Groß
Jonas Groß ist Project Manager und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC). Seine Interessengebiete sind vor allem Kryptowährungen, außerdem analysiert er im Rahmen seiner Doktorarbeit die Auswirkungen der Blockchain-Technologie auf die Geldpolitik der weltweiten Zentralbanken. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Innovationen wie Central Bank Digital Currencies (CBDC) und Central Bank Crypto Currencies (CBCC).