Die so oft kritisierte Finanzindustrie, die von Gesetzes wegen zu einer ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation und einem angemessenen Risikomanagementsystem verpflichtet ist, kann sich diesem Aufruf zu mehr Nachhaltigkeit nicht mehr entziehen und will dies offenbar auch nicht. Die Einbeziehung der Nachhaltigkeit und der damit verbundenen Risiken in den Finanzsektor spiegeln den gesellschaftlichen Wandel wider, wobei der Finanzsektor an den zum Teil selbst festgelegten Zielen gemessen werden wird.
Nachhaltigkeit – Begriff und Bedarf
Der Begriff Nachhaltigkeit als solcher ist nicht unbekannt und jeder wird sich hiermit in Bezug auf sein eigenes Handeln bereits auseinandergesetzt haben. Unternehmensbezogen versteht man unter Nachhaltigkeit, im Sinne von Environmental, Social and Governance („ESG“), ob und wie bei Entscheidungen von Unternehmen und der unternehmerischen Praxis ökologische und sozialgesellschaftliche Aspekte sowie die Art der Unternehmensführung beachtet bzw. bewertet werden. In anderen Worten: Wie können Gewinne umwelt- und sozialverträglich erwirtschaftet werden? Für die Finanzindustrie stellt sich daher die Frage, wie sie ESG-konform, d.h. verantwortungsvoll, investieren kann.
Diese Frage ist mangels einer einheitlichen Definition von ESG keine einfache und wird daher durch die einzelnen Akteure des Finanzsektors sehr unterschiedlich beantwortet. Dies ist auch der Weite der einzelnen unter ESG zusammengefassten Themen geschuldet, denn ESG meint nicht nur Umweltthemen, wie den Klimawandel, sondern umfasst auch Arbeitsbedingungen in Unternehmen und Unternehmensführung. So ist das Ergebnis einer Bestandsaufnahme der Fondsindustrie nicht überraschend. Es gibt eine Vielzahl an Fonds, die sich selbst als ESG-konform, grün, nachhaltig o.ä. bezeichnen. Oftmals werden hierbei zwar einzelne ESG-Faktoren berücksichtigt, aber das Prädikat „nachhaltig“ kann nicht vergeben werden. Dennoch ist es wichtig festzustellen, dass sich die Finanzindustrie dieses Themas bereits seit längerem angenommen hat.
Indes ist das gestiegene Bewusstsein für ESG innerhalb der Finanzindustrie nicht nur dem Verständnis von der eigenen Verantwortung geschuldet, sondern vielmehr ein Selbstzweck. Der gesellschaftliche Wandel und das Bewusstsein für ESG, das hiermit einhergeht, haben einen „neuen“ Anlegertypus geschaffen. Diese „neue“ Art von Anlegern bevorzugt es, in ESG-konforme Anlagen zu investieren, die sich an ihren ethischen Vorstellungen von nachhaltigen Investitionen orientieren. Daher ist es für die Finanzindustrie eine neue Herausforderung, diese Anleger für sich zu gewinnen und folglich die gewohnten Pfade zu verlassen. Dass diese Anleger oftmals bereit sind, eine geringere Rendite in Kauf zu nehmen, wenn sie sich über die ESG-Konformität sicher sind, ist nur ein schwacher Trost, denn Anleger erwarten Rendite. Rendite ist auch auf ESG-konforme Weise zu erreichen und diejenigen Akteure, die sich diesem Thema bereits widmen, scheinen sich einen Vorteil zu Ihrer Konkurrenz – nicht nur im Werben um Investoren – zu erarbeiten, in dem sie einen sich verändernden gesetzlichen Rahmen antizipieren.
Rechtsrahmen in Luxemburg
Derzeit ist es jedoch nicht gewährleistet, dass ESG-Investitionen tatsächlich nachhaltig sind, auch wenn die diversen Akteure des luxemburgischen Finanzsektors den für sie geltenden gesetzlichen Bestimmungen, die unter anderem im allgemeinen Sinne, eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation und ein angemessenes Risikomanagementsystem vorschreiben, unterliegen. Denn bis dato besteht in Luxemburg „lediglich” eine Pflicht für die Akteure des Finanzsektors, alle wesentlichen Risiken zu identifizieren, zu bewerten, zu überwachen, zu steuern und zu kommunizieren. Die Nachhaltigkeitsrisiken im ESG-Sinne sind jedoch aufgrund eines bisher fehlenden Rechtsrahmens (noch) nicht zu berücksichtigen, auch wenn diese bereits auf die bekannten Risikoarten einwirken. Dementsprechend erfolgt auch keine nachhaltigkeitsbezogene Beaufsichtigung solcher Anlagen.
In Bezug auf die Nachhaltigkeitsrisiken und die von den Akteuren durchzuführenden Risikoidentifikations-, Risikosteuerungs- und Risikocontrolling-Prozesse bedeutet dies konkret, dass zum Beispiel Kreditrisiken (Geschäftsmodell des Kreditnehmers wird durch Nachhaltigkeitsrisiken beeinflusst), Marktrisiken (Marktstimmung führt aufgrund regulatorischer Maßnahmen zu Abwertungen), Liquiditätsrisiken (zwingende Veräußerung von Aktiva nach massiven Geldabfluss zur Schadensbeseitigung nach Naturkatastrophen), versicherungstechnische Risiken etc. unter Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsrisiken neu bewertet werden müssen, um ESG-konform zu sein und in der Folge neue Anleger für sich zu gewinnen.
Derzeitige Marktpraxis in Luxemburg
Im luxemburgischen Finanzsektor sind die Begriffe „Nachhaltigkeit“ bzw. ESG, wie bereits gesagt, nicht unbekannt, trotz eines mangelnden Rechtsrahmens.
So hat die Luxemburger Börse bereits im Jahre 2016 die erste globale Plattform für grüne, sozial verantwortliche und nachhaltige Wertpapiere gegründet: Die Luxembourg Green Exchange. Dies bedeutet, dass an der luxemburgischen Börse grüne, soziale oder nachhaltige Wertpapiere gehandelt werden können.
Auch können in Luxemburg Fondspromoter bereits seit 2016 ein Anlagekennzeichnungssystem nutzen, mit dem sie ein für Investoren sichtbares Zeichen für nachhaltige und transparente Anlagen setzen. Die beiden in diesem Bereich relevanten staatlichen Labels des LuxFLAG-Anlagekennzeichnungssystem sind das Climate Finance Label und das ESG Label. Mit dem Climate Finance Label wird den Investoren versichert, dass ein Fonds mindestens 75% seines Gesamtvermögens in direktem Zusammenhang mit dem Klimaschutz und/oder der Anpassung an den Klimawandel investiert. Mit dem ESG Label wird den Investoren die Gewissheit gegeben, dass ein Fonds sein Vermögen während des gesamten Anlageprozesses tatsächlich unter Berücksichtigung von ESG–Aspekten anlegt.
Als Beispiel für diesen in Luxemburg bereits etablierten Markt, können verschiedene Produkte von Bankhäusern wie auch anderen Institutionellen genannt werden.
Ein sich wandelnder Markt bedarf eines geänderten Rechtsrahmens
Die Bedürfnisse der Investoren erfordern einen klaren Rechtsrahmen.
Wie so oft ist es die EU-Gesetzgebung, die einen solchen Rahmen schafft. In Bezug auf die Nachhaltigkeit im Finanzsektor sind es vor allen Dingen zwei Verordnungen, die diesen Zusammenhang berücksichtigen. Zum einen die Verordnung (EU) 2019/2089 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/1011 hinsichtlich EU-Referenzwerten für den klimabedingten Wandel, hinsichtlich auf das Übereinkommen von Paris abgestimmter EU-Referenzwerte sowie hinsichtlich nachhaltigkeitsbezogener Offenlegungen für Referenzwerte (die “ESG-Referenzwerteverordnung”). Zum anderen die Verordnung (EU) 2019/2088 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. November 2019 über nachhaltigkeitsbezogene Offenlegungspflichten im Finanzdienstleistungssektor (die “Verordnung”).
Durch die Verordnung (EU) 2016/1011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten als Referenzwert oder zur Messung der Wertentwicklung eines Investmentfonds verwendet werden, und zur Änderung der Richtlinien 2008/48/EG und 2014/17/EU sowie der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 (die „Referenzwerteverordnung“) wurde ein gemeinsamer Rahmen zur Sicherstellung der Genauigkeit und Integrität von Indizes eingeführt, die als Referenzwert bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten oder zur Messung der Wertentwicklung von Investmentfonds in der EU verwendet werden (Artikel 1 der Referenzwerteverordnung).
Wie der vollständige Name der Referenzwerteverordnung (siehe vorherigen Absatz) erahnen lässt, gelten Indizes, welche bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten oder zur Messung der Wertentwicklung von Investmentfonds in der EU verwendet werden, als Referenzwerte. Unter der Referenzwerteverordnung gilt jede Zahl als Index, (i) die veröffentlicht oder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, (ii) ganz oder teilweise, durch Anwendung einer Formel oder einer anderen Berechnungsmethode oder durch Bewertung bestimmt wird und (iii) auf der Grundlage eines Wertes oder mehrerer Basispreise, einschließlich geschätzter Preise, tatsächlicher oder geschätzter Zinssätze, Quotierungen und verbindlicher Quotierungen oder sonstiger Werte oder Erhebungen erfolgt. Die Referenzwerteverordnung hatte – nicht nur, aber auch in Anbetracht der Skandale um die Referenzwerte LIBOR und EURIBOR – zum Ziel, einen präventiven Regulierungsrahmen zu schaffen, Interessenkonflikte und Manipulationsspielräume bei der Bereitstellung von Referenzwerten zu vermeiden und die Ermittlung von Referenzwerten transparenter zu machen. An dieser Stelle kann darauf hingewiesen werden, dass der LIBOR zum Jahreswechsel 2021/2022 eingestellt wird.
Die ESG-Referenzwerteverordnung verfolgt die gleichen oben genannten Ziele der Referenzwerteverordnung und ergänzt diese um ESG-Kriterien.
Bezogen auf die Referenzwerte ändert die ESG-Referenzwerteverordnung die Referenzwerteverordnung insofern ab, als dass sie EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel, hinsichtlich auf das Übereinkommen von Paris abgestimmter EU-Referenzwerte sowie hinsichtlich nachhaltigkeitsbezogener Offenlegungen für Referenzwerte, einführt. Diese Änderungen wurden notwendig, um einen harmonisierten Rahmen zur Sicherstellung der Genauigkeit und Integrität der wichtigsten Kategorien von Referenzwerten für CO2-arme Investitionen zu schaffen und um hierdurch das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes zu gewährleisten. In anderen Worten: Durch die Änderungen der Referenzwerteverordnung wird ein Regulierungsrahmen eingeführt, in dem auf EU-Ebene Mindestanforderungen an EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel und Paris-abgestimmte EU-Referenzwerte festgelegt werden.
Somit enthält die Referenzwerteverordnung (durch die ESG-Referenzwerteverordnung) nunmehr auch ESG-Kriterien für Finanzinstrumente. Die neuen Bezeichnungen „EU-Referenzwerte für den klimabedingten Wandel“ und „Paris-abgestimmter EU-Referenzwert“ sind für Anleger in der gesamten EU leicht erkennbar und verlässlich, da nur Administratoren, die die Anforderungen der Referenzwerteverordnung erfüllen, diese Bezeichnungen bei der Vermarktung von EU-Referenzwerten für den klimabedingten Wandel und Paris-abgestimmten EU-Referenzwerten in der EU verwenden dürfen. An dieser Stelle darf auf unseren Artikel über eine die Referenzwerte betreffende Mitteilung der CSSF verwiesen werden.
Die Verordnung dagegen richtet sich an die in Artikel 2 Nr. 1 der Verordnung aufgeführten Finanzmarktteilnehmer. Mit dieser Verordnung werden harmonisierte Vorschriften für Finanzmarktteilnehmer und Finanzberater über Transparenz bei der Einbeziehung von Nachhaltigkeitsrisiken und der Berücksichtigung nachteiliger Nachhaltigkeitsauswirkungen in ihren Prozessen und bei der Bereitstellung von Informationen über die Nachhaltigkeit von Finanzprodukten festgelegt (Artikel 1 der Verordnung).
Diese beiden Verordnungen finden – so wie es ihnen eigen ist – unmittelbare Anwendung in den Mitgliedsstaaten der EU, sodass die hierin festgehaltenen Pflichten durch die betroffenen Akteure und für die Instrumente auch in Luxemburg zwingend sind. Angemerkt sei jedoch, dass die Verordnung erst ab dem 10. März 2021 gilt, wobei die Referenzwerteverordnung seit dem 10.Dezember 2019 Anwendung findet.
Konkret bedeutet dies in Bezug auf die Transparenzpflichten der Verordnung, dass die Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsrisiken die Transparenzanforderungen erhöhen. So enthält die Verordnung Transparenzbestimmungen zu
- den Strategien für den Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken,
- den nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen auf Ebene des Unternehmens,
- der Vergütungspolitik im Zusammenhang mit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken,
- der Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsrisiken,
- den nachteiligen Nachhaltigkeitsauswirkungen auf Ebene des Finanzprodukts,
- der Bewerbung ökologischer oder sozialer Merkmale in vorvertraglichen Informationen,
- der vorvertraglichen Informationen bei nachhaltigen Investitionen,
- der Bewerbung ökologischer oder sozialer Merkmale und bei nachhaltigen Investitionen auf Internetseiten, und
- der Bewerbung ökologischer oder sozialer Merkmale und bei nachhaltigen Investitionen in regelmäßigen Berichten.
Den Adressaten der Verordnung wird die Veröffentlichung einer Vielzahl der genannten Punkte betreffenden Information auf ihrer Internetseite vorgeschrieben. Auch müssen in den vorvertraglichen Informationen zusätzliche Erläuterungen mitaufgenommen werden und unter gewissen Umständen müssen auch die regelmäßigen Berichte zusätzliche Angaben enthalten. Ein Mehr, bezogen auf die Instrumente, ist dann bereits durch die Referenzwerteverordnung sichergestellt.
Dieses „Mehr“ an Transparenz seitens der Akteure wird den Anlegern zu Gute kommen, da die Vergleichbarkeit der ESG-Anlagen in der EU vereinfacht wird. Auch wird sich die Spreu vom Weizen trennen, d.h. etwaige schwarze Schafe im derzeitigen ESG-Umfeld werden vom Markt verdrängt werden.
In Luxemburg besteht, wie bereits erwähnt, derzeit (noch) keine national eigene Pflicht zur Berücksichtigung der Nachhaltigkeitsrisiken, außer den EU-Verordnungen.
Aufgrund dieser europarechtlichen Vorgaben ist jedoch davon auszugehen, dass die lokale Aufsichtsbehörde der Finanzwelt (CSSF) sich bereits dem Thema angenommen hat. Daher dürfte die Veröffentlichung nationaler Bestimmungen oder entsprechender Vorgaben nur eine Frage der Zeit sein.
Vielleicht kann man auch das deutsche Nachbarland als Vorbild nehmen, welches bereits seitens der eigenen Aufsicht (BaFin) entsprechende Vorgaben erst kürzlich herausgegeben hat.
Zu sämtlichen allgemeinen Nachhaltigkeits- bzw. ESG-Fragen sowie Rechts- und Anwendungsfragen zu den angesprochenen europarechtlichen und nationalen Veröffentlichungen stehen die Autoren Ihnen zur Verfügung.
25. März 2020
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Mevlüde-Aysun Tokbag
Mevlüde-Aysun Tokbag ist Partnerin & Rechtsanwältin bei Wildgen S.A. und hat mehr als 10 Jahre Erfahrung im Fonds- sowie Finanzmarktrecht, überwiegend im grenzüberschreitenden Deutsch-Luxemburgischen Rechtsverkehr. Seit 2015 leitet Frau Tokbag auch den kanzleiintern neu gegründeten German Desk und betreut mit ihrem Team, bestehend aus mehreren Rechtsanwälten, vorwiegend deutsche Unternehmen, Versicherungsgesellschaften sowie Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute in ihren luxemburgischen Projekten.