Seit ich das Buch veröffentlicht habe „Können Roboter mit Geld umgehen?“ bin ich im kollektiven Bewusstsein als Roboterversteher verankert und werde daher regelmäßig gefragt, wie denn bitte schön Roboter wirklich in großem Stil in die Finanzberatung einsteigen sollten. Ist denn nicht der derzeitig eher bescheidene Erfolg der Robo-Berater ein klares Zeichen dafür, dass dieses Konzept zum Scheitern verurteilt ist? Ich versuche mich daher hier an einer kleinen Bestandsaufnahme: Sind Robo-Berater wirklich ernst zu nehmen?
Regulatorik einhalten
„Die Regulatorik ist so komplex, das können nur Menschen.“ Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe. Aber leider unterliegt er einem Denkfehler: Regulatorik ist zwar in der Tat komplex, aber es ist eine Komplexität, die für Menschen schwierig, für Roboter dagegen einfach ist.
Seien wir ehrlich: Die Verbraucherschutzvorgaben der Regulatorik helfen den Verbrauchern denkbar wenig und sind in erster Linie dazu da, Rechtsicherheit für die Berater zu schaffen. Der Gesetzgeber hat es damit geschafft, den Verbraucherschutz auf ein rein formalistisches Ausfüllen von Kästchen zu reduzieren, das letztlich niemandem hilft, insbesondere nicht den Endkunden.
Ich will hier nicht über verfehlten Verbraucherschutz lamentieren, aber eine Feststellung ist wichtig: Ein formalisiertes Verfahren ist immer auch eines, das Computern sehr entgegenkommt. Stupides Setzen von Häkchen und das sture Anzeigen langatmiger Erklärungen macht ein Roboter ohne mit der Wimper zu zucken. Und er wird es auch nie vergessen. Wenn es regelmäßig etwas zu überprüfen gibt, was auch noch in Form von Zahlen vorliegt, dann macht das ein Roboter im elektronischen Halbschlaf, und er informiert auch immer zuverlässig und zeitnah über alle Änderungen, die der Gesetzgeber für mitteilungswert hält. Schriftlich, nachweisbar und billig.
Mehr noch: Es gibt bestimmte Arten von Empfehlungen an die Kunden, die sich irgendwann als Best-Practice herausbilden, und die daher vor Gericht im Zweifelsfall die besten Chancen haben, nicht angegriffen werden zu können. Ein Roboter kann leicht so aufgebaut sein, dass er sich immer und ohne Ausnahme daran hält. Kann das ein Mensch auch? Natürlich ist hier die Gefahr viel größer, dass er im Einzelfall von den Regeln abweicht und sich damit angreifbar macht.
Das heißt nicht, dass eine Robo-Beratung immer ein simples Produkt von der Stange sein muss. Im Gegenteil: Es ist hier billig, die Beratung auf die Besonderheiten einer einzelnen Person maßzuschneidern, unter anderem weil es so leicht möglich ist, parallel zu individualisierten Vorschlägen die Vorgaben der Regulatorik einzuhalten. Gerade wenn es um Regulatorik geht, hat ein Robo-Berater also ganz klar die metallische Nase vorn. Es ist sogar gut möglich, dass zahlreiche Anbieter früher oder später vermehrt Robos einsetzen werden, weil sie damit ihre eigene Haftung verringern können. Das ist ähnlich wie bei selbstfahrenden Fahrzeugen, die möglicherweise in nicht allzu ferner Zukunft die Versicherungsprämien für Autos mit menschlichen Fahrern deutlich verteuern werden.
Portfolio steuern
Das Wort Asset Allocation hat einen unglaublich weltmännischen Beiklang. Es klingt nach der großen weiten Welt geballten Finanzmarktwissens. Es klingt nach komplizierter Anpassung an die individuellen Bedürfnisse eines Investors. Und es klingt nach unvorstellbar komplizierter und raffinierter Mathematik. Das alles war es vor einigen Jahrzehnten auch, aber inzwischen haben wir eine recht abgeklärte Vorstellung davon, was sich hinter einer Asset Allocation verbergen sollte: Ein breit gestreutes Portfolio, dessen Risiko durch eine Kombination aus risikobehafteten und risikoarmen Investments gesteuert wird. Solange man keine besseren Informationen hat als der Markt, gibt es keine bessere Vorgehensweise.
Mit anderen Worten, die Asset Allocation ist standardisierbar und parametrisierbar. Man kann jetzt im Detail überlegen, ob es besser ist, eine gegebene Portfoliozusammensetzung dauerhaft konstant zu halten oder ob man sie besser nach Risikogesichtspunkten der Marktlage anpasst. Man kann streiten, ob eine Allokation auf Basis der Marktwerte erfolgen sollte oder ob sie gleichgewichtet über viele Assets streuen sollte. Man kann philosophieren, ob sie rein passiv sein sollte, smart passiv oder ob sie Daten von außerhalb des Marktes berücksichtigen sollte.
Welchen Ansatz aber auch immer man wählt, er lässt sich automatisieren. Schlimmer noch, viele Ansätze lassen sich überhaupt nur automatisiert durchführen und sind in Handarbeit gar nicht möglich. Finanzmärkte sind kein Ort für Bauchentscheidungen und emotionale Stimmungen, sondern für harte Zahlen. Und deshalb geht auch hier der Kollege aus Blech deutlich früher durchs Ziel als sein menschliches Gegenstück: Bei der Portfoliosteuerung macht ihm kein Mensch etwas vor.
Wünsche der Menschen in Taten umsetzen
Wozu braucht man eigentlich finanzielle Berater? Zum Teil natürlich dafür, um fehlendes finanzielles Wissen auszugleichen. Aber dafür braucht man nicht unbedingt einen Menschen, der immer wieder den gleichen Text abspult, sondern genau das geht etwa gleich gut mit einem Video. Sofern der Kunde das Wissen überhaupt wirklich haben will, was man bezweifeln darf. Denn wenn das wirklich sein Anliegen gewesen wäre, dann hätte er vermutlich bereits eine Vorlesung dazu besucht. Viel wahrscheinlicher ist es, dass der Endkunde gar nicht die Portfoliotheorie kennen will, sondern dass er nur eine geeignete Form des Marktzugangs zu haben braucht, bei dem seine Interessen automatisch berücksichtigt werden. Je leichter dieser Zugang ist, desto eher wird jemand den Weg zum Kapitalmarkt finden.
Die heutigen Robo-Berater sind noch weit von dem entfernt, was mir als weitere Ausbaustufen vorschwebt. Aber in diesem Punkt leisten sie schon jetzt Erstaunliches: Der Zugang zum Kapitalmarkt ist auf einmal unglaublich einfach. Stellen wir uns vor, wir haben eine für einen Kunden optimale Portfoliozusammensetzung gefunden und nun möchte er Mittel aus der Anlage abziehen oder hinzufügen. Das ist in der guten alten Welt des handgemachten Portfolios eine arbeitsintensive Aufgabe, weil man nun an vielen Stellen gleichzeitig umschichten und anpassen müsste. Über einen Robo-Berater ist die gleiche Aufgabe dagegen eine Kleinigkeit. Man zieht über die Smartphone-App den gewünschten Betrag aus dem Portfolio ab, den Rest macht der Robo allein. Diese Aufgabe bewerkstelligen die Robo-„Berater“ mit Bravour.
Dies ist eine der Leistungen, die in den jetzigen Robos stecken, die viel zu wenig beachtet werden: Sie verwandeln den Vorgang des Investierens in etwas, was zur Sicht der finanziell nicht interessierten Kunden passt, also zur Mehrheit. Die meisten Kunden wollen sich nicht primär mit Finanzmärkten beschäftigen. Sie wollen es genauso wenig, wie an dem Motor ihres Autos herumzuschrauben oder sich mit der Dateiverwaltung ihres Computers zu beschäftigen. Sie wollen einfach irgendwo hinfahren können, ihre Mails abrufen und ihr Geld auf sinnvolle Weise verwaltet wissen. Und genau diese Sicht bedient ein Robo-Berater.
Warum sind denn dann die Roboter noch so klein?
In dieser Frage liegt ein Hauch von Hohn. Wer in den letzten Jahren meine Vorträge gehört hat, der weiß allerdings, dass ich auch diesen Hohn schon lange vorhersage.
Neue Technologien verbreiten sich immer auf nichtlineare Weise, und zwar so, dass sie sich anfangs in absoluten Zahlen ausgedrückt langsam verbreiten und dann zunehmend schneller. Dieses progressive Wachstum führt dazu, dass man anfangs die neue Technologie als schneller wachsend wahrnimmt als sie ist und dann nach kurzer Zeit enttäuscht wird, weil das anfängliche Wachstum nicht mit den Erwartungen mithalten kann. In dieser Zeit hat der Hohn sein Maximum. Leider passieren zeitgleich zwei Dinge: Erstens wird das Wachstum der neuen Technologie (in absoluten Zahlen) schneller und zweitens lehnt sich die ursprünglich aufgeschreckte Branche zurück. Beides zusammengenommen lässt den dann kommenden Wandel erschreckend ruckartig erscheinen.
Ich bleibe daher bei meiner Vorhersage: Die Finanzberatung, wie wir sie kennen, wird es so nicht mehr lange geben. Immer mehr der jetzigen Beratung wird durch Roboter übernommen werden, und das schon in sehr naher Zukunft. Das ist aber keineswegs schlecht für die Branche. Denn die Robos können einen Marktzugang für gigantisch große, völlig neue Kundengruppen schaffen und ganz neue Kundenkreise an die Finanzmärkte bringen. Gesellschaftlich ist das allemal ein großer Schritt nach vorn. Wahrscheinlich ist es aber auch ein Vorteil für die Finanzbranche, denn dass die alte Form der Beratung automatisiert wird heißt nicht, dass es gar keine Beratung mehr gibt. Sehr sicher wird es eine Kombination aus Mensch und Maschine geben, die besser ist als Mensch oder Maschine allein.
Wie diese Kombination im Detail aussieht und zu welchen Geschäftsmodellen sie führt, das wird gerade von großen Unternehmen, findigen Unternehmern und Wissenschaftlern ausgelotet. Welches Konzept sich dabei durchsetzt, das werden wir erst in einigen Jahren wissen. Aber es lohnt sich, an diesen neuen Konzepten zu arbeiten.
09. Januar 2018
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Prof. Dr. Christian Rieck
Christian Rieck ist Professor für Finance an der Frankfurt University of Applied Sciences und durch zahlreiche Veröffentlichungen zu Spieltheorie und Finanzen bekannt. Nach seinem Studium der Wirtschaftswissenschaften war er an der Neuausrichtung des Centers for Financial Studies beteiligt und leitete danach bei IBM Global Services das internationale Competence-Center für Lösungen in der Finanzbranche. Er forscht zur digitalen Transformation von Wertschöpfungsketten und untersucht, wie sich soziale Medien und künstliche Intelligenz auf die Zukunft der Finanzbranche auswirken. Besonderes Augenmerk legt er dabei auf das strategische Zusammen-Spiel zwischen Menschen und künstlicher Intelligenz.