Entwicklungschancen durch Bildung

Die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben sowie die Beherrschung der Grundrechnungsarten sind eine Basisvoraussetzung, um die eigenen Potenziale entfalten zu können. Fehlende Selbstbestimmung und mangelnde Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen führen zu einer Einschränkung der persönlichen Freiheit des Menschen. Während die Millennium Development Goals (MDG) der Vereinten Nationen vor zwanzig Jahren mit dem Ziel Nr. 2 lediglich ein Grundwissen anstrebten, gehen die 2015 veröffentlichten Sustainable Development Goals (SDG) deutlich weiter und sprechen im vierten Ziel nicht nur von Bildung, sondern von „Bildung mit Qualität“.

Das Bildungssystem eines Staates hat drei grundlegende Aufgaben. Erstens sollen Werte, Normen und Traditionen vermittelt werden. Mit dieser soziokulturellen Aufgabe ist auch die Integrationsfunktion der Bildung verbunden. Zweitens geht es um die Schaffung geeigneter Qualifikationen durch Bildung. Diese ökonomische Funktion des Bildungssystems umfasst auch Themen wie die finanzielle Allgemeinbildung. Drittens erfüllt das Bildungssystem eine politisch-soziale Aufgabe, wozu die Verringerung der sozialen Ungleichheit zählt. Das Bildungssystem hat zudem das Ziel, Menschen in geeigneter Weise für den Arbeitsmarkt vorzubereiten. Dabei ist der optimale Mittelweg zwischen guter Allgemeinbildung und rein fachbezogener Ausbildung zu suchen.

Eine geeignete und profunde Ausbildung erhöht die Chancen, eine attraktive und gut bezahlte Arbeit zu finden. Innovative und auf komplexe Prozesse spezialisierte Unternehmen liefern sich bereits seit einiger Zeit einen regelrechten Kampf um die besten Köpfe unter den top ausgebildeten Absolventen der Universitäten. Intelligente und hochgebildete High Potentials können sich ihren Arbeitsplatz unter verschiedenen attraktiven Angeboten aussuchen und auch entsprechende Ansprüche an den potenziellen Arbeitgeber stellen.

Analphabetismus kann als ein wesentlicher Grund für die strukturelle und ökonomische Rückständigkeit eines Staates gesehen werden, allerdings ist dieses Phänomen auf globaler Ebene heutzutage deutlich weniger verbreitet als noch vor einigen Jahrzehnten. Die Analphabetenquote eines Landes als Indikator für das Bildungsniveau beschreibt denjenigen Anteil der Bevölkerung, der nicht lesen und schreiben kann. Deutliche Ungleichgewichte und Unterschiede bei den länderspezifischen Alphabetisierungsraten sind dabei immer wieder zu beobachten. Sie können sich aufgrund von Aspekten wie Diskriminierung, Migrationshintergrund oder auch Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ergeben. Im Jahr 2016 lag die Alphabetisierungsrate weltweit bei 86 %. Eine sehr hohe Analphabetenquote ist aktuell in einzelnen Ländern in Zentralafrika sowie im Nahen und Mittleren Osten zu beobachten. Im Bereich der Länderbewer tung im Nachhaltigkeitsrating nimmt das Thema Bildung – als Qualitätsmerkmal einer Volkswirtschaft – einen wesentlichenTeil im Rahmen der Bewertung der sozialen Strukturen und damit im Sozialrating eines Landes ein.

Unterschied der Alphabetisierung zwischen jungen Männern und Frauen, 2015
Quelle: Weltbank, OurWorldInData.org CC BY-SA

Zwischen den Themen Bildung und Gleichberechtigung besteht ein originärer Zusammenhang.

Vermutlich liegen die beiden Ziele „Hochwertige Bildung“ (SDG 4) und „Geschlechtergleichstellung“ (SDG 5) der Vereinten Nationen also nicht zufällig direkt nebeneinander. Auch heute noch ist das Recht auf Bildung in vielen Regionen der Welt dem männlichen Teil der Bevölkerung vorbehalten. Dabei sollte man nicht vergessen, dass Frauen auch im deutschsprachigen Raum den vollständigen Zugang zu Universitäten erst Anfang des 20. Jahrhunderts erhielten. Weltweit gesehen lag die Alphabetisierungsrate im Jahr 2016 für den männlichen Teil der Bevölkerung bei 90 % und für den weiblichen Teil bei 83 %, woraus sich ein geschlechtsspezifischer Unterschied von sieben Prozentpunkten ergibt. Regional bestehen vor allem am afrikanischen Kontinent beträchtliche Unterschiede.

Natürlich hat Bildung nichts mit charakterlichen Eigenschaften oder dem Wesen eines Menschen zu tun. Trotzdem darf man Bildung als einen wesentlichen Aspekt der persönlichen Entwicklung und des individuell erreichten Wohlstandes betrachten. Der sogenannte Index der Menschlichen Entwicklung oder Human Development Index (HDI) wird vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) veröffentlicht. Er ist eine Art Wohlstandsindikator und berücksichtigt neben dem Bruttonationaleinkommen auch die Lebenserwartung sowie die Dauer der Ausbildung. Der HDI fokussiert auf Menschen, Chancen und Wahlmöglichkeiten. Insofern ist das Thema Bildung für den Index von größter Bedeutung. Im globalen Trend verbesserte sich dieser Wert zuletzt vor allem durch eine Steigerung der Lebenserwartung. Hervorzuheben ist, dass im untersten Segment zahlreiche Länder die Indexbewertung im Vergleich zu 2010 deutlich steigern konnten. Österreich erreichte 2018 mit einem Wert von 0,908 den zwanzigsten Rang weltweit.

Human Development Index (HDI)
Wert 2017 und jährliche Steigerungsrate in Dekaden
Quelle: Human Development Report Office 2018

Bildung ist ein wesentlicher Aspekt der persönlichen Entwicklung des Menschen und des individuell erreichbaren Wohlstandes.

Eine Studie der WU Wien und des Internationalen Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) in Laxenburg zeigt eine interessante Korrelation zwischen Lebenserwartung und Bildung. Gemäß den Aussagen der Wissenschaftler ergab sich in den letzten Jahren ein zunehmender Gleichlauf, der nicht nur auf einer gesünderen Lebensweise basieren könnte. Es scheint ein weiterer Horizont in der Lebensplanung von besser gebildeten Menschen erkennbar – Risiken werden so offenbar besser erkannt und vermieden.

Ein hoher Anteil von überdurchschnittlich gebildeten Menschen wird zumeist als Standortvorteil im Wettbewerb um anspruchsvolle und zukunftsträchtige Technologien interpretiert. Die aktuellen Statistiken der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2017 sehen beim Prozentanteil der Bevölkerung mit tertiärer Bildung (Abschluss an Universitäten und Hochschulen) Kanada mit einem Anteil von 57 % in der führenden Position vor Japan und Israel mit je 51 %. Österreich und Deutschland liegen mit 32 und 29 % im unteren Mittelfeld, die Schweiz mit 43 % im Vergleich deutlich höher. Die Vergleichbarkeit der Daten wird allerdings durch national unterschiedliche Bildungssysteme und Definitionen erschwert.

Anteil der Bevölkerung mit tertiärer Bildung, 2017
Quelle: OECD (2018), Adult education level (indicator).
doi: 10.1787/36bce3fe-en – accessed on 13 November 2018

GREEN JOBS

Das Thema Nachhaltigkeit und die unterschiedlichen Einflussfaktoren auf ein verantwortungsvolles und zukunftsfähiges Wachstum finden immer mehr Eingang in den Bildungsbereich.

Die theoretische Seite einer Kombination von Bildung und Nachhaltigkeit findet Platz an immer mehr Hochschulen, die Ausbildungen im Bereich Nachhaltigkeit anbieten. Auf der praktischen Seite steigt das Angebot an „Green Jobs“ dynamisch an. Im akademischen Bereich wurde in Österreich bereits vor vielen Jahren ein Kompetenzzentrum für Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien ins Leben gerufen. Außerdem existiert mit der Allianz Nachhaltige Universitäten ein nationaler Zusammenschluss von bis dato 15 österreichischen Universitäten, die sich für Nachhaltigkeit einsetzen.

Mit entsprechender Bildung und Ausbildung und einem Fokus auf Nachhaltigkeit können immer mehr Menschen vom wachsenden Angebot an sogenannten „Green Jobs“ profitieren. Dahinter stehen die Ziele von Nachhaltigkeit und einem Wachstum, das von ökologischen und sozialen Aspekten unterstützt wird. Laut EU-Definition handelt es sich bei Green Jobs um Arbeitsplätze, die beispielsweise in der Herstellung von Produkten oder dem Angebot von Technologien und Dienstleistungen angesiedelt sind, die nachhaltigen Mehrwert generieren. Konkret geht es bei diesen Jobs darum, Umweltschäden zu vermeiden und natürliche Ressourcen zu erhalten. Green Jobs finden sich in vielen Sektoren der Wirtschaft, sie sind mit unterschiedlichen Qualifikationen verbunden.

Die Definition der International Labor Organisation (ILO) für Green Jobs unterstreicht vor allem die Klimaschutz-Perspektive dieser Berufsalternativen. Erwähnt werden unter anderem die Themenbereiche Energie- und Materialeffizienz, die Absenkung von Treibhausgasemissionen, die Minimierung von Abfall und Schadstoffbelastungen, der Schutz und die Wiederherstellung von Ökosystemen und die Anpassung an die Effekte des fortschreitenden Klimawandels.

Um die Breite der Möglichkeiten von Green Jobs darzustellen, bietet sich auch ein Abgleich mit den Zielen für Nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, kurz SDGs) an. Auf Basis der SDG-Definitionen können Green Jobs auf acht verschiedenen Ebenen angesiedelt werden. Im SDG Ziel Nr. 1 geht es um die Verbesserung der Belastbarkeit armer Teile der Bevölkerung angesichts negativer Effekte des Klimawandels. Im Zusammenhang mit dem Thema Bildung geht es im SDG Nr. 4 um die Erweiterung individueller Fähigkeiten im Beruf durch die verstärkte Berücksichtigung nachhaltiger Inhalte. In den SDG-Zielen 5 und 6 werden die Aspekte von Nicht-Diskriminierung und Verbesserung der Wasserversorgung und sanitären Versorgung behandelt. Der Ausbau der Produktion von sauberer Energie und die Versorgung mit dieser sind eine wesentliche Basis für Green Jobs, welche ein starkes Wachstum aufweist. Ebenso wichtig, wenn es um ökologisch interessante Jobs geht, ist die Transformation der Wirtschaft in Richtung einer nachhaltigeren Ausrichtung im Ziel 8. Die SDGs 12 und 17 sind von Bedeutung, wenn es um Arbeit in den Bereichen nachhaltiger Konsum, gesundes und sicheres Wohnen sowie die Gestaltung der administrativen und finanziellen Basis für Green Jobs geht.

POSITIVKRITERIUM

Für Nachhaltigkeitsinvestoren ist das Thema Bildung in mehrfacher Hinsicht relevant. Es ist ein Positivkriterium und kein Ausschlusskriterium. Dies gilt sowohl für die Unternehmensebene, wie etwa die Weiterbildung der Arbeitnehmer, als auch für das nationale Bildungssystem. Nachhaltigkeitsanalysen auf Staatenebene ziehen ihre Bewertung der Bildung unter anderem aus Daten zum Analphabetismus und zur durchschnittlichen Länge des Schulbesuchs. Gemeinsam mit dem Thema Gleichberechtigung fließen sie in den Cluster der humanen und sozialen Bedingungen ein. Im Bereich der Bildung auf Unternehmensebene sind neben der Qualifizierung der Arbeitnehmer auch Unternehmen zu erwähnen, deren „Produkt“ bildungsbezogen ist. Mit Unternehmen, die im Verlagswesen tätig sind oder privaten Anbietern von Studienangeboten, können sich für den nachhaltigen Investor interessante Investmentalternativen ergeben.

Text stammt von altii – alternative investor information, veröffentlicht am 05.02.2019.

11. Februar 2019

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Thema

BILDUNG IM KONTEXT DER DREI NACHHALTIGKEITS-DIMENSIONEN

E (Environment): Bessere Bildung führt zu einem erweiter-ten Umweltbewusstsein des Menschen. Im Verlagswesen und bei Studienange-boten bieten elektronische Medien und Fernlehrgänge Möglichkeiten, Umweltbe-lastungen zu reduzieren.

S (Social): Generell fokussiert sich der nachhaltige Investor beim Thema Bildung sehr stark auf die soziale Ebene. Bei Unternehmen ist die Bildung Teil der Bewertung der Stakeholder-Ebene Arbeitnehmer. In der Bewertung von Staatsanleihen ist Bildung ein wesentlicher Faktor für die Nachhal-tigkeit der Entwicklung und die Zukunfts-fähigkeit eines Landes.

G (Governance): Bildungseinrichtungen sind teils staatlich und teils privatwirtschaftlich organisiert. Der Governance-Aspekt entsteht durch die Verantwortung der Staaten für die Bereit-stellung von Bildung für ihre Bürger.

Fazit: Für Raiffeisen Capital Management sind Bildung und Entwicklungschancen am Arbeitsplatz wichtige Gegenwarts- und Zukunftsthemen. Dazu zählen Aktien von Unternehmen wie Alphabet (Google), Microsoft und SAP.

Autor

Wolfgang Pinner

Wolfgang Pinner ist seit 2013 Leiter Sustainable & Responsible Investments bei der Raiffeisen KAG. Seinen beruflichen Werdegang begann er 1988 bei der Erste Österreichische Sparkasse, wechselte später zur Investmentbank Austria und wurde 1999 Leiter Investor Relations bei der Bank Austria. 2001 knüpfte er als CIO bei der Vereinigten Pensionskasse (ab 2004 VBV) an, 2006 wurde er Geschäftsführer bei VINIS Gesellschaft für nachhaltigen Vermögensaufbau. Weiter ging es für ihn 2007 als Head of SRI Investment bei ERSTE-SPARINVEST. 2007 absolvierte er zudem ein Executive-Studium an der University of Nottingham, das er mit dem MBA-Titel abschloss.

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