Die Rolle von Pre-Hedging für die Bereitstellung von Liquidität

Market Making ist keine neue Form des Handels, allerdings hat ein Paradigmenwechsel in Regulierung, Marktstruktur und Technologie die Ansätze der Market Maker in den letzten zehn Jahren verändert. Mit dem Ziel, Kapital und Bilanzkapazitäten zu erhalten, liegt ein immer größerer Schwerpunkt auf Absicherungsstrategien.

Einigkeit herrscht darüber, dass die Rolle der Market Maker für die Markteffizienz und das Funktionieren des Marktes insgesamt entscheidend ist. In den vergangenen drei Jahren gab es jedoch besondere Herausforderungen, die durch externe Schocks ausgelöst wurden und die zu außergewöhnlichen Marktbedingungen führten. Die Bereitstellung von Liquidität, d. h. die Aufrechterhaltung des Handels und die Aufrechterhaltung der Preiskontinuität, ist vergleichbar mit der Versorgung der Haushalte mit Energie oder Wärme – viele Market Taker sehen dies als gegeben an und machen sich erst dann Gedanken darüber, wenn es zu Unterbrechungen kommt oder zu kommen droht. Anleger erwarten dagegen, dass es auf dem Markt zu jedem Zeitpunkt jemanden gibt, der bereit ist, die andere Seite des Handels zu übernehmen. Doch selbst bei den am aktivsten gehandelten Wertpapieren gibt es Momente, in denen der Preis, der Umfang oder der Zeitpunkt eines Auftrags nicht mit dem eines natürlichen Handelspartners übereinstimmt. Durch das Angebot kontinuierlicher zweiseitiger Notierungen mit engen Geld-Brief-Spannen überbrückt der Market Maker die Lücken zwischen Käufern und Verkäufern und sorgt so für die Effizienz des Marktes.

Während in der jüngsten Vergangenheit sicherlich außergewöhnliche Umstände herrschten, sind zyklische Schwankungen dem Geschäft inhärent. Es gibt jedoch auch strukturelle Veränderungen, vor allem durch Regulierung und Technologie, die sich in den letzten Jahren sehr stark ausgewirkt haben. Um besser zu verstehen, inwiefern dies hier relevant ist, ist eine Betrachtung der Komponenten, die den Gewinn und Verlust (P&L) eines Market Makers bestimmen sowohl auf der Leistungs- als auch auf der Bestandsseite, sinnvoll. Durch seine Notierungsaktivitäten versucht der Market Maker, einen Gewinn aus der Geld-Brief-Spanne nach Handelskosten zu erzielen. Die Gewinn- und Verlustrechnung auf der Bestandsseite wird durch die Veränderungen des Marktwerts einer bestimmten Position, ihren Carry, die Finanzierungskosten, das Hedging-Ergebnis und die Kapitalkosten sowie natürlich das Ergebnis der Wertpapierleihe bestimmt.

Das Basel III[1]-Rahmenwerk hatte erhebliche Auswirkungen auf die Kapitalkosten aufgrund höherer Eigenmittelanforderungen und auf die Finanzierungskosten durch strengere Liquiditätsanforderungen. Die Reformen im Bereich der OTC-Derivate, die durch MiFID II/MiFIR[2] oder EMIR[3] eingeführt wurden, führten zu einer Reihe von Anforderungen wie zentralem Clearing, strengeren Einschusszahlungen und wesentlich höherer Transparenz. All dies kann zwar unter dem Gesichtspunkt der Marktstabilität und des Anlegerschutzes als wichtig angesehen werden, hat jedoch zu einem erheblichen Anstieg der Kapital-, Clearing-, Absicherungs- und Compliance-Kosten für Market Maker geführt. Wenn ein Multi-Asset-Market-Maker weiterhin Liquidität bereitstellen will, auch in weniger liquiden Wertpapieren, die nicht zum Kerngeschäft gehören, muss das Unternehmen natürlich versuchen, jede Geschäftskomponente zu optimieren, um unter dem Strich profitabel zu bleiben. Dies wird noch wichtiger, wenn zusätzliche Herausforderungen auftreten, wie die Erleichterung des Echtzeithandels über Zeitzonen hinweg oder in Phasen extremer Volatilität. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass die Regulierung weiterhin ein sehr sensibler Faktor ist, wie die Diskussion über das Pre-Hedging zeigt.

Ist Pre-Hedging ein Front-Running?

Im Allgemeinen ist Pre-Hedging die Handelsstrategie, bei der eine Position abgesichert wird, bevor sie tatsächlich eingegangen wird, im Gegensatz zu einer Absicherung, die nach dem Eingehen der Position erfolgt. Aber es steckt noch mehr dahinter. Für Liquiditätsanbieter ist es eine nützliche Strategie zur Steuerung ihres Bestandsrisikos, das, wie bereits erwähnt, erhebliche Auswirkungen auf ihre Rentabilität hat. Die ESMA[4] startete im Juli letzten Jahres eine Aufforderung zur Stellungnahme (CFE[5]) zur Praxis des Pre-Hedging. Obwohl Pre-Hedging im EU-Recht nicht definiert ist, hat die ESMA nach Anfragen der zuständigen nationalen Behörden damit begonnen zu untersuchen, ob es einen Verstoß gegen die Marktmissbrauchsverordnung (MAR[6]) oder die Wohlverhaltensregeln im Rahmen von MiFID II darstellen könnte. Mit anderen Worten, ob es sich dabei um Front-Running handelt, welches eine Form des Insiderhandels oder einen Interessenkonflikt darstellt.

Dies ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Bei einem bilateralen Handel zwischen zwei Gegenparteien scheint das Bild recht eindeutig zu sein. Das heißt, wenn ein Market Maker ein Geschäft aushandelt, das irgendwann in der Zukunft ausgeführt wird, ist es legitim, die Position, von der er weiß, dass er sie einnehmen wird, im Voraus abzusichern, solange der Kunde vorab über diese allgemeine Praxis informiert und die Zustimmung dazu gegeben hat. Andernfalls kann es zu Interessenkonflikten kommen. Nun gibt es in der Branche sehr unterschiedliche Ansichten darüber, was Pre-Hedging überhaupt ist, wo es als rechtmäßige Praxis angesehen werden sollte und wo nicht. Es muss eindeutig klargestellt werden, was Pre-Hedging ist, um eine bestimmte Praxis zu kategorisieren und, falls sie der Definition von Pre-Hedging entspricht, zu beurteilen, ob sie rechtmäßig angewendet wurde oder nicht.

Die ESMA erklärt, dass sie Pre-Hedging als eine Praxis betrachtet, bei der die Minderung des Bestandsrisikos vor der Ausführung eines Geschäfts stattfindet – im Gegensatz zum traditionellen Hedging, bei dem die Risikominderung nach der Ausführung des Geschäfts erfolgt. Einige Branchenteilnehmer argumentieren, dass der Zeitstempel der Handelsausführung nicht der richtige Maßstab ist, um festzustellen, ob es sich um Hedging oder Pre-Hedging handelt. Dieser Argumentation folgend sollte unterschieden werden, ob das Risiko aus dem Geschäft zum Zeitpunkt der Übernahme einer Hedge-Position bekannt ist oder nicht.

Verschiedene Szenarien

Eine solche Definition wird schwer zu entwerfen sein. Die Position, die abgesichert werden muss, ist vielleicht schon vor dem Abschluss bekannt, aber die Bedingungen werden erst bei der Ausführung bekannt sein. Da sich die Bedingungen in der Zwischenzeit erheblich ändern können, wird es Situationen geben, in denen es unangemessen ist, zu behaupten, dass das Risiko aus mathematischer Sicht bekannt ist. Diese Definitionssensibilität wird in einem anderen Szenario deutlicher, das in der Praxis mindestens ebenso kritisch ist und Anlass war, über den rechtlichen Kontext des Pre-Hedging nachzudenken – man bedenke, dass es noch nicht einmal eine rechtliche Definition des Begriffs gab. Dieses Szenario ist im Zusammenhang mit den Plattformen für Ausführungsersuchen (RFE[7]) relevant. Dies gilt umso mehr als die Zahl der börsengehandelten Fonds (Exchange Traded Funds, ETFs) erheblich gestiegen ist.

RFE-Plattformen wurden ursprünglich eingerichtet, um den elektronischen Handel auf den Märkten für festverzinsliche Wertpapiere zu verbessern. Im Laufe der Zeit haben sich diese Plattformen aufgrund ihrer Flexibilität in Bezug auf die Integration in bestehende Handelsinfrastrukturen und den hohen Grad an Handelsautomatisierung zu einer bevorzugten Lösung für große Buy-Side-Konten wie ETFs entwickelt, die eine maßgeschneiderte, unkomplizierte Ausführung mit einem MiFID-II-konformen Transparenzniveau und den Anforderungen an die bestmögliche Ausführung kombinieren können. Wenn ein börsengehandelter Fonds eine Kursofferte über eine RFE-Plattform anfordert, erhalten je nach Art der Plattform entweder alle angeschlossenen Händler oder nur die vom Anleger vorausgewählten Händler diese RFE. In jedem Fall konkurrieren die Händler, die die RFE erhalten, um den vom ETF zu kaufenden oder zu verkaufenden Wertpapierblock. Dies hat dazu geführt, dass einige Händler in dem Bestreben, den Auftrag zu erhalten, eine Absicherungsposition aufbauen, bevor der Anleger, der die RFE veröffentlicht hat, entschieden hat, mit wem er handeln will. Dies kann eine Reihe negativer Auswirkungen haben, wobei die größte Auswirkung für den Anleger darin besteht, dass das erwartete Absicherungsgeschäft die Marktpreise beeinflusst und somit Verluste für den Handel verursacht, dessen Ausführungsabsicht über die RFE-Plattform veröffentlicht wurde. Übrigens: Bei Spectrum Markets bieten wir Market Makern sowohl das feste (Hit and Take) als auch das indikative (RFE) Liquiditätsbereitstellungsmodell an.

Die Behauptung, dass jede Pre-Hedging-Aktivität angesichts des nicht-öffentlichen Charakters von RFEs automatisch als Front-Running zu qualifizieren ist, ist meines Erachtens eine zu weit gehende Schlussfolgerung. Bei hochliquiden Wertpapieren, für die es keine vernünftigen Risikomanagement-Grundsätze gibt, könnte man jedoch argumentieren, dass jede RFE-bezogene Transaktion eines Händlers, der nicht (oder noch nicht) für den Handel mit RFEs ausgewählt wurde, Insiderhandelsrisiken birgt.

Andererseits steht es dem Anleger frei, das Geschäft nicht auszuführen, wenn sich der Markt aufgrund von Pre-Hedging-Aktivitäten oder anderen Entwicklungen entgegen den Erwartungen des Anlegers entwickelt. Darüber hinaus ist es bei institutionellen Kunden üblich, bei großen und sehr großen Geschäften zweiseitige RFEs zu versenden, um die beabsichtigte Richtung des Geschäfts zu verschleiern. Andererseits haben die größten Liquiditätsanbieter meist ohnehin einen guten Überblick über die institutionellen Portfolios. Deshalb gibt es weder eine einfache Definition, wann eine Praxis als Pre-Hedging angesehen werden kann, noch wäre ein völliges Verbot aller Pre-Hedging-Aktivitäten eine gute Lösung. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die ESMA auf die von den Marktteilnehmern erhaltenen Antworten auf den von ihr übermittelten CFE reagieren wird. Die Ungewissheit, die mit dieser Angelegenheit verbunden ist, stellt jedenfalls ein weiteres Hindernis für Liquiditätsanbieter dar.

 

15. Februar 2023

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[1] Directive 2013/36/EU (CRD IV) and Regulation 575/2013 (CRR), together referred to as Basel III

[2] Directive 2014/65/EU, the Market in Financial Instruments Directive

[3] Regulation (EU) No 648/2012, the European Market Infrastructure Regulation

[4] The European Securities and Markets Authority

[5] Public consultation of European authorities inviting all interested parties to provide feedback and empirical evidence on the benefits, unintended effects, consistency and coherence of a financial legislation

[6] Regulation (EU) No 596/2014, the Market Abuse Regulation

[7] Also known as RFQ (Request for quote) platforms

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Autor

Thibault Gobert

Thibault Gobert ist Head of Liquidity Pool bei Spectrum Markets, wo er für die Geschäftsentwicklung in den Kundenbereichen der Market Maker und Emittenten verantwortlich ist. Er ist seit 25 Jahren im Derivatebereich tätig. Zuvor war Gobert Head of Sales Europe bei der Börse Stuttgart und hatte verschiedene Führungspositionen bei Citigroup, Société Générale und BNP Paribas inne. Er war außerdem Gründer und erster Vorsitzender des französischen Verbands für strukturierte Produkte (AFPDB) und sieben Jahre lang Mitglied des Vorstands des europäischen Verbands für strukturierte Anlageprodukte (EUSIPA).

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