Die Frage, ob Anleger ihr Kapital in US-amerikanische oder europäische Aktien investieren sollten, ist von zentraler Bedeutung für jede strategische Assetallokation. Neben geopolitischen Rahmenbedingungen wie Handelskriegen und demografischen Herausforderungen auf beiden Kontinenten prägen fundamentale Unterschiede zwischen Large Caps und Small Caps sowie sektorale Entwicklungen die Performance der Märkte.
Ein global aufgestelltes Aktienportfolio profitiert deshalb davon, nicht nur nach Regionen zu diversifizieren, sondern auch nach Unternehmensgröße und Branchenstruktur. Der MSCI ACWI als marktgewichteter Index legt mit über 60 % Gewicht auf US-Aktien einen starken Fokus auf amerikanische Large Caps, vor allem aus dem Technologiesektor. Europa hingegen ist mit rund 15–17 % vergleichsweise gering vertreten – obwohl es derzeit in puncto Bewertung, Dividendenstabilität und fundamentaler Breite attraktiv erscheint.
US-Large Caps – insbesondere Technologiewerte – haben in den letzten Jahren beeindruckend performt. Unternehmen wie Apple, Microsoft, Nvidia oder Amazon verbinden Skaleneffekte, Innovationskraft und globale Marktdominanz. Sie profitieren überproportional von Trends wie Künstlicher Intelligenz, Cloud-Technologien und Digitalisierung. Diese Führungsposition ist unbestritten. Gleichzeitig sind viele dieser Titel hoch bewertet (KGV > 25) und stark in den großen Indizes gewichtet, was die Konzentration erhöht. Eine bewusste Risikosteuerung innerhalb des US-Anteils bleibt daher sinnvoll.
US-Small Caps, gemessen am Russell 2000, haben seit 2021 dagegen stagniert. Viele Unternehmen sind zinssensitiv, wachstumsschwächer und stark fremdfinanziert. Dennoch gibt es in diesem Segment auch interessante Nischenwerte mit hoher Innovationskraft – vor allem im Bereich spezialisierter Industrie, Gesundheitslösungen oder digitaler Infrastruktur. Die Herausforderung besteht darin, selektiv zu investieren und nicht breit den Index abzubilden.
Europäische Large Caps bieten derzeit attraktive Bewertungen (KGV ca. 13,5), stabile Cashflows und eine starke Dividendenkultur. Besonders defensiv orientierte Branchen wie Gesundheit, Basiskonsum und Industrie profitieren von globaler Nachfrage und lokaler Stabilität. Im Small- und Mid Cap-Segment ist Europa vielfach führend, da viele Unternehmen Technologie, Qualität und Nischenmarktführerschaft mit robusten Bilanzen kombinieren. Hier liegt derzeit ein struktureller Vorteil Europas.
Branchenstrategisch lohnen sich daher derzeit Investments in Gesundheitswesen (demografisch stabil, margenstark), Industrieautomation (Reshoring, Energieeffizienz), Infrastruktur, Versorger (Cashflow-orientiert) sowie ausgewählte digitale Geschäftsmodelle im Fintech- oder Software-Bereich.
Ein Blick auf die Bewertung zeigt ein klares Bild: Während US-Aktien im Schnitt mit einem erwarteten KGV von 22 signifikant über dem langfristigen Durchschnitt bewertet sind, liegt Europa mit einem KGV 15 von deutlich darunter. Noch signifikanter ist die Differenz bei der Aktienrisikoprämie: In Europa liegt diese bei rund 4,5–5 %, in den USA bei unter 1 % – was darauf hindeutet, dass Anleger in den USA nur einen sehr geringen Aufschlag für das zusätzliche Risiko erhalten.
Makroökonomisch stehen die USA noch solide da, haben jedoch mit einer wachsenden Staatsverschuldung zu kämpfen, über 1 Billion USD wurden 2024 allein an Zinsen gezahlt – davon 380 Mrd. USD an ausländische Gläubiger. Ein Vertrauensverlust in die fiskalische Stabilität der USA könnte zu einem „Sudden Stop“ führen, also einem abrupten Kapitalabzug – mit massiven Auswirkungen auf US-Aktien und den Dollar.
Trotzdem genießen die USA dank des US-Dollars als Weltreservewährung („exorbitant privilege“) weiterhin hohes Vertrauen und bleiben weltweit ein sicherer Hafen – insbesondere in geopolitisch unsicheren Phasen. Im Vergleich dazu leidet Europa stärker unter demografischen Lasten, einem hohen Regulierungsgrad und niedrigem Potenzialwachstum. Dennoch bietet es solide Infrastruktur, politische Stabilität und einen industriellen Kern mit globaler Wettbewerbsfähigkeit.
Für einen europäischen Investor ergibt sich daraus als sinnvolle Allokation die USA gesamt bei etwa 50 – 55% zu gewichten, davon maximal 5–7 % in Small Caps und Europa mit 40–45 %, davon rund 10–13 % in Small/Mid Caps. Diese Struktur bringt Stabilität durch globale Marktführer, aber auch Wachstumschancen durch unterbewertete europäische Qualitätswerte. In Summe entsteht so ein ausgewogenes, breit diversifiziertes Portfolio – das von der Stärke der US-Märkte profitiert, aber auch die strukturellen Vorteile Europas gezielt nutzt.
23. Juli 2025
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Prof. Dr. Laurenz Czempiel lehrte Makroökonomie an der LMU München, war Financial Consultant bei Merrill Lynch und leitete ab 1996 das Family Office von Reuschel & Co. Privatbankiers. 2005 wurde er persönlich haftender Gesellschafter der Bank und später Vorstandsmitglied der DONNER & REUSCHEL AG. 2017 gründete er die LeanVal Group und ist Aufsichtsratsvorsitzender der LeanVal Asset Management AG sowie Mitglied des Vorstands des Commerzbank Pension Trust. An der Munich Business School unterrichtet er Corporate Finance.