Stil- und Branchenrotation: Gekommen um zu bleiben?

Manche Dinge gehören zwar grundsätzlich zusammen wie das Jing und Jang des Universums, kommen dabei aber nur selten miteinander in harmonischen Einklang, sondern stoßen sich häufig eher ab, wie die unterschiedlichen Pole von Magneten. So verhält es sich mit so manchem Investmentstil an den Aktienmärkten zueinander.

Value und Growth

Die Klassiker in dieser Betrachtung sind wohl die Stilrichtungen „Value“ und „Growth“. Hinter „Growth“ verbergen sich dabei die aggressiven Wachstumswerte des Marktes. Also Unternehmen, die große Zukunftsvisionen, innovative Produktlösungen und eine rasante Entwicklung vorweisen können. Aber häufig noch keine großen Ertragszahlen bieten können, da sie sich eher noch in einer Entwicklungsphase befinden. Themenseitig reden wir hier oft vom Technologiesegment, generell zyklischen Werten oder beispielsweise von Aktien, die auf disruptiven Entwicklungen setzen.

Den Gegenpart bildet schon immer der „Value“-Bereich der Aktien. Er repräsentiert die etablierten Unternehmen, die sich durch fundamental solide Zahlen auszeichnen, sowie seit Jahren funktionierende Geschäftsmodelle und (vermeintlich) stabiler zu analysieren und prognostizieren sind. Hier reden wir über Themenbereiche, wie beispielsweise Versorger, Versicherer oder den Bau- und Maschinensektor.

Wenn wir uns im Folgenden also schwerpunktmäßig exemplarisch mit den Investmentstilen Value und Growth beschäftigen (alles per Stichtag 28.2.22), kann man die gewonnenen Erkenntnisse daraus somit auch analog auf die den Stilen zugeordneten klassischen Aktienbranchen parallel genauso umlegen.

Growth dominiert das neue Jahrtausend

Während sich die beiden Investmentstile noch im alten Jahrtausend von ihrer aktuellen Attraktivität regelmäßig abwechselten, schien diese Gleichung im neuen Jahrtausend auf einmal völlig Ihre Aussagekraft verloren zu haben, denn „Value“ ist seit langer Zeit schon „out“ und „Growth“ dagegen permanent „in“, wie ein Blick auf den Leitaktienmarkt, die Wallstreet, die wir weil besonders aussagekräftig in den meisten nachfolgenden Analysen bemüht haben, in der folgenden Grafik seit Ausbruch der Lehmann-Brotherskrise vor grob 15 Jahren zeigt.

Value vs. Growth über 15 Jahre US-Markt

Wir haben uns zunächst bewusst auf den Gesamtaktienmarkt fokussiert und nicht auf ein bestimmtes Größensegment, wie Small Caps oder Blue Chips. Dazu haben wir eine Betrachtung OHNE DIVIDENDENERTRÄGE, also zweier Kursindizes, herangezogen, um die pure Aktienkursentwicklung darzustellen. Die Growth-Werte erzielen dabei das 2,5fache Ergebnis über diesen Zeitraum als die Value-Werte. Und, die erste Überraschung, bei nahezu gleicher Volatilität!  Zugegeben, nach Dividendenzahlung betrachtet, wäre der Performancevorsprung nicht mehr so groß, aber uns geht es konkret um die Aktienkursentwicklung.

Investitionsstilmerkmale bestätigen sich nicht immer

Die nächste Überraschung erlebt man, wenn man sich die beiden Investmentstile mal über den Verlauf der letzten Finanzkrise anschaut. Denn eigentlich werden den Anlagestilen ja bestimmte Eigenschaften bzw. Merkmale nachgesagt. So soll Growth stets in Haussephasen besser performen, und Value dagegen traditionell in Baissephasen für mehr Stabilität sorgen. Schaut man nun in die Finanzkrise (siehe nächste Grafik) findet man diese Theorie allerdings nicht bestätigt. Hier greift eher die alte Börsenweisheit „fällt Butter, fällt Käse“, denn beide Investitionsstile geben in gleichem Maße ab, und nicht etwa Value deutlich weniger, wie vielleicht erwartet.

Value vs. Growth in der Finanzkrise

Grund dürfte vermutlich sein, dass in der letzten Finanzkrise insbesondere die zum Value-Segment zählenden Finanztitel abgestraft wurden. Dennoch erstaunlich, dass Value keinerlei Schutzfunktion für den Anleger bot.

Klares Bild und einfache Entscheidung? Ganz im Gegenteil

Würden wir hier unsere Analyse beenden, ist man geneigt von einer einfachen Investitionsentscheidung für die Zukunft zu sprechen. Wer braucht da noch Value? „Alles auf Growth“ scheint die einzig logische Wahl zu sein. Doch gerade die letzten 15 Monate (siehe nächste Grafik) bringen dieses Bild extrem zum Wanken.

Der "Kampf der Stile" in der jüngsten Zeit

Innerhalb der Gesamtkursentwicklung über diesen Zeitraum vollzog Value, und die dazugehörigen Branchen, bereits zwei große Ausbruchversuche bzw. Stilwenden oder Branchenrotationen, die wir zur besseren Verdeutlichung nachfolgend als Ausschnitte noch einmal gesondert grafisch hervorgehoben haben. Zunächst ganz massiv von Mitte Februar 2021 bis Mai 2021 (Grafik) mit 10% Outperformance zugunsten Value in nur vier Monaten, die aber danach mühsam wieder von den Growthwerten aufgeholt werden konnte. Und nun zur Jahreswende 2021/2022 zum zweiten Mal mit einer erneuten Outperformance von gut 15% in nur 3 Monaten zugunsten Value (Grafik)!

Branchenrotation: Erster Ausbruch von Value

Auch in Europa dasselbe Bild

Damit darf die alles entscheidende Frage für zukünftige Anlegerentscheidungen erlaubt sein, ob diese Branchenrotation gekommen ist um zu bleiben? Gilt es also zukünftig mehr auf Value als auf Growth zu setzen?

Ein amerikanisches oder aktiengrößentechnisches Phänomen?

Doch Schritt für Schritt. Zunächst könnte ja der Verdacht auf der Hand liegen, dass diese Erkenntnisse nur für den amerikanischen Aktienmarkt gelten. Oder nur in einem bestimmten Aktiengrößensegment greifen. Die beiden nachfolgenden Grafiken beschäftigen sich mit dieser Frage und belegen das genaue Gegenteil. Schaut man sich nämlich beispielsweise einmal ausschließlich kleinere Werte an (Grafik), oder nur europäische Aktien (Grafik), erkennt man, dass sich der Effekt sogar deutlich verschärft und die zuvor beschriebene Tendenz sich mehr als bestätigt.

Branchenrotation: Zweiter Ausbruch von Value

Kein Phänomen bestimmter Aktiengrößen

Bestätigt sich das Bild bei den Fondsfavoriten?

Für eine letzte Überprüfung der Aussage, haben wir einmal Theorie mit Praxis verknüpft. Denn, in welche Fonds würde ein aktienfreundlicher Anleger investieren, wenn er an eine weitergehende Renaissance der Value-Aktien glaubt. Richtig, beispielsweise in gute Dividendenfonds. So haben wir einmal den beliebten Patriarch Classic Dividende 4 Plus (WKN: HAFX6R) über die letzten 15 Monate mit dem europäischen Growth-Index zur Überprüfung gekreuzt. Da im Dividendenfonds der Patriarch große wie kleine Aktien ihr Zuhause finden, haben wir von der Größenordnung den Mid-Cap-Growth-Index gegenübergestellt (siehe nächste Grafik)

Value-Fonds profitieren aktuell

Und siehe da, das Bild ist identisch. Der valuelastige Fonds bricht ab Februar 2021 massiv aus, wird dann wieder eingeholt und nimmt dem Growth-Index zur Jahreswende wieder satte 17% in nur zwei Monaten ab! Wer also an eine Fortsetzung dieser Tendenz glaubt, sollte einen Fonds, wie den Betrachteten, zwingend in seinem Portfolio haben.

Doch wo liegen die Gründe für diese Branchenrotation?

Die Tendenz erkannt zu haben, ist der eine Teil der Medaille. Bleibt aber noch die Frage, woher kommt der Sinneswandel bei den Börsenakteuren? Dazu gibt es direkt eine ganze Hand voll gängiger Thesen:

  • Nachholbedarf — dieser Punkt ist besonders naheliegend, wurde allerdings in der Vergangenheit oft auch schon erfolglos bemüht. Wer sich den Verlauf der letzten Jahre noch einmal in Erinnerung ruft, erkennt natürlich sofort, dass Value so lange unter Wert lief, dass ein Stilwechsel nun einfach eine logische Trendwende sein könnte, um eben Nachholbedarf an Kurspotential zu heben.
  • Corona-Turnaround-Szenario – immer wieder wird die potentielle Branchenrotation auch mit dem sich nähernden Ende der weltweiten Pandemie in Einklang gebracht. Wurden während der Pandemie zunächst insbesondere klassische Value-Bereiche, wie beispielsweise Touristik, Hotelerie oder Freizeitparks als „Corona-Verlierer“ besonders abgestraft, während klassische Growth-Segmente, wie der Digitaltisierungsbereich, dagegen große Gewinner waren. Das könnte sich nun zum Ende der Pandemie drehen bzw. normalisieren.
  • Ende der losen Geldpolitik der Notenbanken – viele Stimmen führen auch das Abschwächen des Quanitative Easing und die rückläufige Tendenz bei Anleihekäufen der Notenbanken als Trendwende an, die die Growth-Werte stärker über den Kreditsektor trifft als Value-Titel.
  • Inflation – daran anschließend ist sicherlich die weltweit rapide steigende Inflationsrate derzeit das Hauptargument gegen Growthwerte. Die von diesen Firmen benötigten billigen Kredite werden über die Zinsseite teurer und die Konsumenten werden parallel vermutlich zu allererst bei Luxus-Gütern (beispielsweise neue Technologien) ihre Ausgaben zurückfahren.
  • Unternehmenszahlen – hier erwarten Analysten aufgrund der geschilderten Tendenzen große Einbrüche bei den Platzhirschen des Growth-Marktes. Konnten Amazon und Alphabet mit ihren jüngsten Zahlen noch dagegenhalten und solche Tendenzen nicht erkennen lassen, so enttäuschte Facebook die Anleger dagegen massiv und wurde kurstechnisch bereits böse abgestraft.

Ein letzter Tipp  

Die vorstehenden Punkte haben sicherlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen nur Gedanken aufzeigen. Grundsätzlich ist sicherlich ohnehin nie zu empfehlen nur auf einen Investmentstil oder eine Branche zu setzen, sondern schon allein aus Korrelationsgründen immer eine Streuung über mehrere Ausrichtungen im Portfolio zu haben und eher über die finale Gewichtung das Fine-Tuning zu betreiben. Denn Growth kann ja schon mit Blick auf den stetigen wirtschaftlichen Fortschritt ohnehin nie ganz out sein. Doch viele Portfolien waren über die letzten Jahre in Sachen Value eher „ausgebombt“. Da sollte vielleicht doch die oder andere Ergänzung mit der Hinzunahme von valuelastigen Fonds zumindest überprüft werden.

 

 

Der Artikel ist eine Zweitveröffentlichung und wurde bereits im April im performer.das investmentmagazin veröffentlicht.

 

14. April 2022

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

neunzehn + fünf =

Autor

Dirk Fischer

Dirk Fischer ist Geschäftsführer der Patriarch Multi-Manager GmbH in Frankfurt. Seit 2007 führt er den unabhängigen Produktentwickler, welcher für seine Konzepte stets die favorisierten Manager am Markt mit dem jeweiligen Asset Management seiner verschiedenen Produktideen beauftragt. Der Dipl.-Bankbetriebswirt begann seine berufliche Karriere im Private Banking der Deutschen Bank AG. Danach war er sechs Jahre als Vertriebsleiter und Prokurist beim Maklerpool Jung, DMS & Cie. AG für die Betreuung von unabhängigen Finanzdienstleistern verantwortlich. Seit 2014 ist er gefragter Referent in der exklusiven Rednervereinigung „Speakers Excellence“. Im Bereich der Top100-Unternehmer im Kreise von Persönlichkeiten wie Wolfgang Grupp, Dietmar Hopp oder Günter Netzer belegt er den Themenbereich Unternehmensaufbau und -entwicklung.

Weitere Empfehlungen für Sie:

Jetzt an unserer Umfrage teilnehmen!

WordPress Cookie Hinweis von Real Cookie Banner