Sind die Akteure des Asset und Wealth Management bereit für ESG?

Der ESG-Trend in der Asset- und Wealth-Management-Branche (AWM) ist ungebrochen. Stakeholder aus dem öffentlichen und privaten Sektor setzen ESG-Prinzipien zunehmend in die Praxis um. Die Zahl der Vorschriften, die die Offenlegung von ESG-Grundsätzen vorschreiben, nimmt weltweit zu. Gleichzeitig meiden immer mehr Anleger Fonds, die ESG-Grundsätze nicht berücksichtigen. Der jüngste PwC-Bericht „Asset and Wealth Management Revolution 2022: Exponential Expectations for ESG“, der auf einer Umfrage unter globalen institutionellen Anlegern und Vermögensverwaltern basiert, unterstreicht diesen Trend noch weiter. Der Bericht kommt zu dem Entschluss, dass die verwalteten ESG-Vermögen (AuM) in allen Regionen durch exponentielles Wachstum deutlich schneller als ihre nicht-ESG-konformen AuM vermehrt werden.

Der Einstieg in die ESG-Reise erfordert jedoch erhebliche Veränderungen in der Arbeitsweise der AWM-Akteure. Dabei ist zu beachten, dass unzureichende Umsetzungen hinsichtlich der drei Nachhaltigkeitsfaktoren kaum zu positiven Auswirkungen führen können. Auf der Grundlage der oben erwähnten Studie von PwC werden folgende Schlüsselmaßnahmen hervorgehoben, um mit der ESG-Entwicklung Schritt zu halten und gleichzeitig die bestmöglichen Ergebnisse und Vorteile zu erzielen.

Die strategische ESG-Integration forcieren

Obwohl ESG in den letzten Jahren in der AWM-Branche an vorderster Front steht, haben sich mehrere Akteure schwergetan, eine ganzheitliche und übergreifende ESG-Transformation innerhalb ihrer Organisationen und in ihren Betrieben umzusetzen. Viele haben stattdessen bruchstückhafte und reaktive ESG-Strategien umgesetzt, welche bestenfalls geringe positive Auswirkungen hatten und deshalb das ESG-Potenzial nicht voll ausschöpfen konnten.

Unstete ESG-Bemühungen werden nicht mehr ausreichen. Um die Nase vorn zu haben, müssen Vermögensverwalter proaktiv handeln und eine klare ESG-Strategie ausarbeiten. In jener muss dargelegt werden, welche Charakteristika die Fonds haben, welche Pläne verfolgt und welche transformativen internen Prozesse im Bereich Governance umgesetzt werden sollen.

Dies wird viel Mühe und einen starken Willen erfordern. Bei der Strategieentwicklung müssen zunächst die direkten Stakeholder – d.h. Mitarbeiter, Führungskräfte und Investoren – konsultiert werden. Hierbei ist es wichtig, die Ansichten der gesamten Organisation und ihre Ziele widerzuspiegeln. Darüber hinaus muss eine Analyse zur Identifizierung wesentlicher Chancen und Risiken in Bezug auf ESG durchgeführt werden. Der Focus dieser SWOT-Analyse soll auf den wirksamsten und am leichtesten umsetzbaren Maßnahmen liegen. Dadurch wird es den Vermögensverwaltern ermöglicht, ihre ESG-Glaubwürdigkeit und ihr Dienstleistungsangebot schrittweise auszubauen. Dies stellt sicher, dass ESG-Ziele mit der Unternehmensstrategie und den Erwartungen der Stakeholder übereinstimmen.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der CEO und die Geschäftsleitung in jeden Schritt der Integration einbezogen werden. Letzten Endes sind es jene, die den Ton für ESG-Änderungen angeben und sicherstellen, dass die Ziele und Vorgaben auf ESG ausgerichtet sind. Daher ist es essenziell, dass sich diese Führungsebene den Strategiewechsel zu eigen macht.

Das Betriebsmodell umgestalten

Die strategische Integration der ESG erfordert eine umfassende Umgestaltung und Neukonfiguration von internen Abläufen. Ohne zeitnahe, genaue und zuverlässige Datenerfassung, können jedoch keine transformativen Veränderungen durchgeführt werden. Von der Dekarbonisierung der internen Prozesse und des Portfolios durch die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen bis hin zu nachweisbaren Fortschritten bei der Vielfalt und Integration auf allen Managementebenen sind Daten der Schlüssel für eine erfolgreiche ESG-Umstellung.

Das derzeitige Datenuniversum ist jedoch immer noch nicht breit und konsistent genug. Dieser Umstand wirkt sich negativ auf die AWM-Industrie aus, da Investitionsentscheidungen mit ESG-Bezug erschwert werden. Zudem können wichtige Vergleiche von AWM-Stakeholdern nicht umfassend durchgeführt werden. Für Vermögensverwalter schafft diese Beschränkung einen schwierigen Rahmen hinsichtlich des Nachweises von ESG-Qualifikationen. Zu alledem erschwert es die Harmonisierung der Finanzprodukte und -dienstleistungen mit den Erwartungen der Anleger und Regulierungsbehörden. Tatsächlich glauben 38 % der Anleger, dass dieser Mangel an Daten eine Herausforderung darstellt.  Damit einhergehend sind 64 % der Vermögensverwalter der Meinung, dass datenbezogene Herausforderungen als ein großes Hindernis bei der Einführung oder Erwägung von ESG-Investitionen zu betrachten sind.

Angesichts der anstehenden Regularien werden sich weltweit die Herausforderungen hinsichtlich der Daten mit hoher Wahrscheinlichkeit noch verstärken. Eine Lösung für dieses Dilemma wäre, für die Bewältigung der Daten- und Berichterstattung die neueste ESG-Technologie einzusetzen oder gar zu entwickeln. Dies wird erhebliche Investitionen erfordern, um sicherzustellen, dass eine angemessene Berichterstattung die Norm ist. Zudem muss sichergestellt werden, dass die auf Portfolioebene verwendeten ESG-Kriterien mit den festgelegten Kriterien in der Governance übereinstimmen.

Eine überzeugende ESG-Erzählung entwickeln

Ein wichtiger Teil der Anpassung an ESG besteht für AWM-Akteure darin, der Öffentlichkeit auf überzeugende und evidenzbasierte Weise die Umstellung darzulegen. Vermögensverwalter sollten es unbedingt vermeiden, großspurige Erklärungen abzugeben oder sich gar unrealistische Ziele und Erwartungen zu setzen. Stattdessen sollten sie sich realistische Bestrebungen setzen und den Fokus auf interne und das Portfolio betreffende Veränderungen legen.

Eine überzeugende ESG-Berichterstattung setzt voraus, dass Verlässlichkeit und Hochwertigkeit von offengelegten Informationen sichergestellt sind. Im Detail bedeutet dies die Darlegung der Gründe für Entscheidungen, damit alle Prozesse einer Überprüfung standhalten können. Die Berichterstattung muss kohärent sein, was eine enge Zusammenarbeit und systematische Integration zwischen den Abteilungen erfordert. Dabei müssen alle betroffenen Abteilungen innerhalb des Vermögensverwalters im Einklang sein, um einen umfassenden, konstanten und genauen Informationsfluss zu ermöglichen. Eine „Silomentalität“ sollte unter allen Umständen vermieden werden, da dies nicht nur die Effizienz der Abläufe beeinträchtigt und den ESG-Änderungsprozess möglicherweise stark behindert, sondern auch das Risiko einer falschen Kennzeichnung und einer ungenauen Berichterstattung erhöht.

Die generelle Erfassung muss kohärent und durch Daten gestützt sein. Wenn quantitative Daten schwer zu beschaffen, nicht vorhanden oder gar unzuverlässig sind, sollten die Vermögensverwalter qualitative Daten vorlegen. Dies muss argumentativ untermauert sein, um etwaigen rechtlichen Prüfungen oder Fragen der Öffentlichkeit standzuhalten. Durch ein überzeugendes, evidenzbasiertes ESG-Narrativ im Einklang mit einem möglichen Nachweis der Vertrauenswürdigkeit, haben Vermögensverwalter die einmalige Chance, Innovationen innerhalb ihrer Organisationen voranzutreiben und neue Mandate von ESG-bewussten Anlegern zu gewinnen. Dabei sollte stets die Einhaltung von ESG-Versprechen gewährleistet sein.

Im Einklang – „Environment“, „Social“ und „Governance“

So wichtig die ökologischen und sozialen Komponenten von ESG auch sind, dürfen Vermögensverwalter den dritten Faktor – „Governance“ – nicht herunterspielen. Transparenz in Bezug auf ESG-Angelegenheiten – sowohl innerhalb des Fonds als auch gegenüber der Öffentlichkeit – sollte zur Norm werden. Im Einklang mit klaren Verfahren zur Gewährleistung von Rechenschaftspflicht und Überwachung ergeben sich die besten Rahmenbedingungen. Im Laufe der Jahre wurden viele ganzheitliche und benutzerfreundliche Methoden für die freiwillige Offenlegung von ESG-Daten entwickelt. Um das Engagement für ESG-Grundsätze zu demonstrieren und Verbesserungen aufzudecken, sollten die Vermögensverwalter ein Augenmerk auf die Implementierung dieser Prozessmethoden legen oder gar direkt implementieren.

Transparenz allein wird jedoch nicht ausreichen, um sich vor einem der größten Risiken in der AWM-Branche zu schützen: der falschen Kennzeichnung von ESG-Fonds und -Produkten. Durch unzureichende Kommunikation oder widersprüchliche Daten von Portfoliounternehmen werden geringfügige Fehler unbeabsichtigt begangen.  Allerdings können diese zu erheblichen Reputationsschäden für ein Individuum oder den ganzen Sektor durch Vertrauensverlust führen. Mit der zunehmenden Untersuchung von ESG-Labels durch die Aufsichtsbehörden in Europa und den Vereinigten Staaten werden diese Risiken verstärkt. Tatsächlich sind 71 % der institutionellen Anleger und 86 % der Vermögensverwalter der Meinung, dass Schwindel und Betrug hinsichtlich des Labels in der AWM-Branche weit verbreitet sind.

Um sich gegen solch hohe Risiken abzusichern, ist die ordnungsgemäße Umsetzung der Governance-Komponente von größter Bedeutung. Vermögensverwalter sollten sicherstellen, dass ESG-Daten und -Angaben glaubwürdig, transparent und umfassend sind. Zudem sollen starke Aufsichtsmechanismen Übeltäter zur Rechenschaft ziehen.

Die AWM-Branche befindet sich derzeit an einem kritischen Punkt. Durch die Integration von ESG in den Kern ihrer Strategien, die Umgestaltung ihrer Betriebsmodelle, die Entwicklung überzeugender ESG-Geschichten und die Demonstration vorbildlicher Governance-Standards werden die AWM-Akteure einen erfolgreichen Umschwung zu ESG einleiten. Zudem wird davon ausgegangen, dass positive Rendite erzielt und ein wichtiger Beitrag zur globalen nachhaltigen Entwicklung geleistet werden kann. Solche systemischen Veränderungen werden nicht einfach sein und viele Hindernisse stehen im Weg. Aber die Vorteile und letztlich die Erträge sind es definitiv wert.

 

01. Dezember 2022

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