Impact durch Regulatorik?

Die EU Kommission hat sich viel vorgenommen. Sie will mit dem EU Action Plan for Sustainable Finance Nachhaltigkeit am Finanzmarkt verankern. Das Kapital soll in nachhaltige Geschäftsmodelle fließen. Der europäische Finanzmarkt soll gerüstet sein vor den zunehmenden Krisen: Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur, Verlust der Artenvielfalt, sich häufende Unwetter, um nur einige zu nennen. Doch wie erfolgreich ist die Kommission bisher? Eine kritische Bestandsaufnahme.

Die EU-Taxonomie – zwischen Leuchtturmprojekt und politischer Instrumentalisierung

Sie ist das Herzstück aller Nachhaltigkeitsbestrebungen der EU-Kommission, an ihr richten sich nahezu alle weiteren Maßnahmen aus: die EU-Taxonomie. Erstmals gibt es mit ihr eine genaue Definition, was eine nachhaltige Investition ist und was nicht. Zweifellos ist es richtig, Mindeststandards zu setzen. Die Marktpraxis hat gezeigt, dass jeder den Begriff anders definiert. Auch energieeffiziente Flughäfen und Öl-Pipelines galten in der Vergangenheit mitunter als grüne Investments.

Die Kommission ist bei der Umsetzung des Vorhabens in der Tat sehr gewissenhaft vorgegangen: Sie setzte eine eigene Expertengruppe ein.  Die Technical Expert Group arbeitete umfangreiche technische Kriterien aus. Diese Kriterien orientieren sich an dem aktuellen Stand der Wissenschaft. So weit, so lobenswert. Allerdings erforderte dieses umfangreiche Verfahren viel Zeit. Bisher gibt es nur eine Klimataxonomie. Eine Umwelttaxonomie folgt erst Anfang 2023. Die Sozialtaxonomie ist noch Zukunftsmusik. Derzeit ist fraglich, ob sie überhaupt kommt. Ein ganzheitliches EU-Nachhaltigkeitsverständnis ist somit erst einmal nicht absehbar.

Unternehmen und Investoren sehen sich dennoch bereits mit umfangreichen Reportinganforderungen konfrontiert. Wohlgemerkt große Unternehmen – kleinere Unternehmen sind nicht von diesen Anforderungen betroffen. Das bedeutet für solche Unternehmen weniger Aufwand – und künftig wohl weniger Zugang zu Kapital. Denn Banken und Investoren müssen künftig zeigen, wie viel Kapital sie nach Taxonomiekriterien anlegen. Der Anreiz, in Unternehmen zu investieren, die diese Daten nicht offenlegen, dürfte gering ausfallen.

Andererseits stellt sich die Frage, ob Banken und Investoren zu stark auf ihre Taxonomie-Investments hinweisen wollen. Die Aufnahme von Erdgas und Atomkraft in die Taxonomie hat ein mediales Donnerwetter ausgelöst. Dieses offenkundige politische Manöver der EU hat zu einem erheblichen Reputationsschaden geführt. Das Leuchtturmprojekt ist derzeit in ernster Gefahr, sich in ein Symbol für gesetzliches Greenwashing zu entwickeln. Bei aller berechtigter Kritik an der Taxonomie wäre dies ein verheerendes Signal. Es braucht glaubwürdige Mindeststandards.

Die Offenlegungsverordnung –  große Wirkung, große Verwirrung

Lange nahezu unbemerkt neben der Taxonomie trat am 10. März 2021 die Offenlegungsverordnung in Kraft. Sie soll für mehr Transparenz sorgen und richtet sich an Investoren und Anbieter von Finanzprodukten. Erstmals definiert sie formell wichtige gesetzliche Nachhaltigkeitsbegriffe: Was ist ein Nachhaltigkeitsrisiko? Was sind Nachhaltigkeitsfaktoren und was ist eigentlich eine nachhaltige Investition? Investoren müssen Rechenschaft ablegen, wie ihre Investitionen auf Umwelt und Gesellschaft wirken, welche ökologischen und sozialen Auswirkungen diese bergen. Die Verordnung setzt somit Anreize für Investoren, mehr ESG-Daten, u.a. zu Treibhausgasemissionen, Biodiversität oder Arbeitnehmerrechten zu sammeln. Diese Aspekte erfahren also eine erfreuliche Aufwertung. Damit schafft die Verordnung wichtige Grundlagenarbeiten.

Andererseits sorgt die Verordnung aber auch für Verwirrung. Denn nun gibt es zwei Definitionen, was eine nachhaltige Investition ist – eine nach Taxonomie, eine nach Offenlegungsverordnung. Während die Taxonomie sehr kleinteilig und technisch ist, ist die Definition der Offenlegungsverordnung sehr weit gefasst – und somit interpretationsbedürftig.

Diesen Interpretationsspielraum nutzen Investoren und Anbieter von Finanzprodukten aus. Auch wenn die Kommission mit so genannten technischen Regulierungsstandards versucht, für Ordnung zu sorgen, ist die Marktpraxis eine andere. Sprunghaft ist die Anzahl „gesetzlich nachhaltiger“ Finanzprodukte (für die Insider: Artikel 8- und 9-Fonds) auf nahezu ein Viertel aller Fondsprodukte in Europa angestiegen. Vor allem die Frage, wie diese Finanzprodukte einen „Impact“ erzielen müssen, ist unklar. Die Kommission entwirft einen eigenen, neuen „Impact-Ansatz“ – losgelöst von bisher am Markt gängigen Standards, was ein Impact Investment ausmacht. So gibt die Verordnung keine klare Antwort, wer denn die Wirkung nachweisen soll – der Investor oder das Unternehmen, in das investiert wird? Über diese Frage zerraufen sich Experten am Markt gerade die Köpfe. Die Gefahr des Greenwashing und enttäuschter Anlegererwartungen ist somit immens.

MiFID 2-Erweiterung – cleverer Ansatzpunkt, bürokratische Umsetzung

Während Taxonomie und Offenlegungsverordnung die Finanzbranche noch bewegt, kommt ab August 2022 die nächste Regulierungswelle bereits auf sie zu – diesmal auf die Anlageberater. Die Kommission erweitert die Finanzmarktrichtlinie MiFID 2. Anlageberater müssen systematisch Kunden nach ihren Nachhaltigkeitspräferenzen fragen. Hintergrund: Privatanleger besitzen viel Vermögen und sind laut Umfragen bereit, nachhaltig zu investieren – tun dies aber noch sehr selten. Daher erscheint die Erweiterung von MiFID 2 als ein geschickter Ansatzpunkt, um zusätzliches Kapital zu mobilisieren.

Doch derzeit ist fraglich, ob die EU Kommission ihr Ziel erreicht. Die Anlageberatung soll inhaltlich auf Taxonomie und Offenlegungsverordnung aufbauen. Dabei kämpfen beide Gesetzeswerke wie skizziert noch mit einigen Schwächen. Nach Vorstellung der europäischen Aufsichtsbehörden sollen Privatanleger die gesetzlichen Nachhaltigkeitskonzepte verstehen und dann eine informierte Anlageentscheidung treffen. In der Theorie klingt das gut, doch die Gefahr einer Überforderung von Privatanlegern ist enorm. Wie erklären sie innerhalb von 5 Minuten komplexe europäische Verordnungen? Bisher ist es doch eher der Fall, dass viele Privatanleger vor allem nicht in Waffen oder Kinderarbeit investieren wollen. Was geschieht, wenn in den gesetzlich „strengsten“ Nachhaltigkeitsfonds plötzlich Rüstungsunternehmen auftauchen? Kein abwegiger Gedanke angesichts aktueller Marktrecherchen von Morningstar, dass ein Drittel aller gesetzlichen Nachhaltigkeitsfonds genau darin investieren.

Fazit: Gute Absichten, an der Umsetzung hapert es (noch)

Die EU-Kommission hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an Maßnahmen umgesetzt, die das richtige Ziel verfolgen: Kapital muss in nachhaltige Geschäftsmodelle fließen, der europäische Finanzmarkt muss widerstandsfähiger werden. Die Finanzbranche muss dabei seiner Rolle gerecht werden. Allerdings haben die vergangenen Jahre auch gezeigt, dass gute Absichten nicht immer zu den besten Ergebnissen führen. Bisher ist diese Einschätzung nur eine Bestandsaufnahme. Angesichts der Größe des Vorhabens ist es verständlich, dass an der ein oder anderen Stelle Nachbesserungen erforderlich sind. Jetzt gilt es, diese schnell anzugehen, um einen bestmöglichen Impact zum Wohle von Umwelt und Gesellschaft zu erzielen.

 

 

17. Mai 2022

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