GameStop: Ein Lehrstück in Sachen Börsenkultur

Zwar haben sich die Kurskapriolen um den Spielehändler GameStop in den vergangenen Tagen wieder etwas beruhigt, dennoch dürfte der von sozialen Netzwerken ausgehende Flashmob in die Börsengeschichte eingehen.

Die Akteure in diesem Lehrstück sind gebeutelte Unternehmen, profitorientierte Hedgefonds, eine Masse von angriffslustigen Kleinanlegern, moderne Broker-Apps und inzwischen auch die Börsenaufsicht.

Seit Jahren beklagen Finanzexperten die – vor allem in Deutschland – vorherrschende Scheu vor Aktien und anderen Anlageprodukten. Dass nun ausgerechnet im Zuge der Coronapandemie vermehrt junge, internetaffine Menschen das Börsenparkett für sich entdecken, ist aus dieser Warte daher ausdrücklich zu begrüßen. Zahlreiche Neo-Broker machen den Wertpapierhandel inzwischen so leicht wie ein Posting in den sozialen Netzwerken, noch nie war der Zugang zum Kapitalmarkt so einfach und so kostengünstig. Was wir Ende Januar insbesondere beim dahin dümpelnden Spielehändler GameStop erlebt haben, zeigt andererseits aber auch, dass sich hier eine spontane Marktmacht geformt hat, die allein aufgrund ihrer Masse gewaltigen Einfluss auf Kursentwicklungen nehmen kann.

Leerverkäufe: Bestandteil des freien Börsenhandels

Um den Hype um GameStop zu verstehen, muss man sich zunächst den Vorgang sogenannter Leerverkäufe vor Augen führen. Bei solchen Short Sellings leihen Großinvestoren – oftmals die kritisch beäugten Hedgefonds – Aktien eines Unternehmens von einem anderen Großinvestor, um sie dann weiterzuverkaufen. Bevor sie die Aktien zurückgeben müssen, sollen diese – dies ist die Wette – zu einem niedrigeren Kurs gekauft werden. Der Gewinn ergibt sich dann aus der Differenz zwischen Verkaufskurs und Kaufkurs.

Ende vergangenen Jahres geriet nun die Einzelhandelskette GameStop ins Visier großer Hedgefonds. Der stationäre Verkauf von Spielen war aufgrund von Corona ein Verlustgeschäft geworden, die Aktie bewegte sich vergangenen Sommer noch zwischen drei und vier Euro. In Erwartung einzelner Akteure auf eine mögliche Insolvenz der Gesellschaft stellte die Aktie ein klassisches Ziel spekulativer Großinvestoren dar, die auf fallende Kurse setzen.

Solche Handelsaktivitäten sind übrigens vollkommen legal, sofern zum Zeitpunkt des Kaufs eine Deckung vorliegt. An dieser Stelle muss auch betont werden, dass diese Short Seller eine wichtige Bereinigungsfunktion des Marktes übernehmen. Denn sie haben im Gegensatz zu vielen anderen Marktteilnehmern ein hohes Interesse daran, Fehler, Misswirtschaft oder sogar Betrug aufzudecken und gehen entsprechend auf die Suche. Wirecard ist sicherlich eines der präsentesten Beispiele in der jüngsten Vergangenheit – hier haben Short Seller bereits seit Jahren auf Unregelmäßigkeiten in der Bilanz hingewiesen.

Neuartiges Börsenphänomen: Die Revolution der Kleinanleger

Wie der Chartverlauf der GameStop-Aktie zeigt, haben die Hedgefonds ihre Rechnung in diesem Fall allerdings ohne eine anonyme Macht aus dem Internet gemacht: Im Januar explodierte der Kurs zeitweise auf einen Stand von über 400 Euro, scheinbar aus dem Nichts. Der Hype um die Aktie nahm seinen Ursprung in einem reddit-Forum, wo sich Millionen von Usern zum Kauf der Aktie verabredeten. In den Medien war hier häufig von „David gegen Goliath“ zu lesen, von der Börsenrevolte, gestartet von jungen wallstreetbets-Mitgliedern. Diese haben sich zum Ziel gesetzt, Aktien ausfindig zu machen, die sehr stark geshortet sind.

Zum Hintergrund: Bei GameStop waren 140 Prozent der im Freeflow befindlichen Aktien leerverkauft, also mehr Aktien „short“ als überhaupt kaufbar wären. Durch den durch die wallstreetbets-Mitglieder ausgelösten sprunghaften Kursanstieg droht den Shortsellern ein Verlust, weil diese die Aktie zu einem teureren Kurs zurückkaufen müssten. Hierdurch steigt das Risiko für den „Verleiher“ der Aktie, der somit wiederum eine immer höhere Risikoprämie haben möchte. Irgendwann geht das Chancen-/Risikoverhältnis für die Shortseller nicht mehr auf. Wenn dies der Fall ist, muss der Shortseller seine Short-Position auflösen und folglich die Aktien real am Markt kaufen – dadurch kann es zu einem Short-Squeeze-Out kommen. In Deutschland haben wir dies etwa im Oktober 2008 bei VW gesehen. Wenn Aktien auf diese Weise exorbitant im Wert steigen, könnten die wallstreetbets-Investoren im aktuellen Fall ihre Aktien zu einem sehr hohen Kurswert an die Hedgefonds verkaufen – und hätten den Großinvestoren somit tatsächlich ein Schnippchen geschlagen.

Geniestreich oder ungewollter Schneeballeffekt?

Im Grunde lässt sich dieser Effekt auch als Demokratisierung der Börse beschreiben: Junge Anleger, verwurzelt in sozialen Netzwerken und Online-Foren proben den Aufstand gegen die etablierten, oftmals eher im Verborgenen operierenden Hedgefonds. Was bei dieser etwas romantischen Lesart allerdings zu kurz kommt, ist die Unkontrollierbarkeit solcher Schneeballeffekte. Denn die Aktivitäten der angriffslustigen User beschränkten sich bei diesem Börsen-Flashmob nicht auf den Hauptakteur. Auch andere Unternehmen, von Blackberry bis Varta, verzeichneten starke Kursanstiege. Nun lebt die Börse von Hochs und Tiefs, gehandelt wird in der Regel die Zukunft und damit verbunden sind immer auch Hoffnungen oder andererseits mangelndes Vertrauen.

Wie ist es nun allerdings zu bewerten, dass sich eine kritische Masse von Anlegern zum Aktienkauf verabredet und Kurse willentlich beeinflusst? Dieses Phänomen ist neu und stellt auch die Aufsichtsbehörden vor Herausforderungen. Die US-Börsenaufsicht SEC wie auch das Bundesfinanzministerium hier in Deutschland etwa prüfen den Vorfall derzeit. Bezogen auf Deutschland findet sich in Artikel 15 der für die EU geltenden Marktmissbrauchsverordnung der lapidare Satz: „Marktmanipulationen und der Versuch hierzu sind verboten.“ Es wird zu klären sein, inwiefern Postings in den genannten Foren als Eingriffe in den Markt gewertet werden müssen. Kann man andererseits den Hedgefonds vorwerfen, mehr GameStop-Aktien leergekauft zu haben als überhaupt vorhanden waren? Hier kommt es meiner Meinung nach darauf an, ob man diese Praxis als normale Marktmechanik begreift und ob man diese beibehalten möchte – oder ob die Aufsichtsbehörden eine Short-Position über 100 Prozent des Freeflows künftig begrenzen.

An dieser Stelle ist es auch sehr interessant zu fragen, wer bei solchen Vorgängen überhaupt Geld verdient. Einzelne Großinvestoren, wie etwa die Investorenlegende Michael Burry, sind bereits letztes Jahr bei GameStop eingestiegen und dürften mehrere 100 Millionen Euro Gewinn gemacht haben. Sowohl die Geschäftsleitung als auch die Aufsichtsräte haben Aktien und könnten hierdurch zwischenzeitlich „Kasse gemacht haben“ und annähernd Milliardäre geworden sein. Auch im wallstreetbets-Forum dürften einige Investoren enorme Gewinne eingefahren haben – für den Großteil der Retail-Investoren hat sich die „Wette“ allerdings vermutlich nicht gelohnt. Warum ist das so? Wenn eine Aktie so schnell steigt und dann die Kaufnachfrage ausbleibt, etwa weil die Hedgefonds sich eingedeckt haben, dann können nur noch wenige Marktteilnehmer Ihre Aktien verkaufen – denn es gibt ja nur noch sehr wenige potenzielle Käufer. In der Folge fällt die Aktie wieder und je tiefer der Kurs sinkt, für desto mehr Käufer wird die Aktie dann wieder interessant. Soweit die ganz normale Marktmechanik. Im Fall von GameStop ist der aktuelle Kurs jedoch weit entfernt von den im Januar erreichten Höchstkursen. Dies zieht den Effekt nach sich, dass Trader, die auf dem Weg nach oben eingestiegen sind, weit unter dem Einstiegskurs verkaufen oder aber in der Aktie bleiben müssen, bis diese eventuell wieder steil nach oben ansteigt – dieses Szenario wirkt aus heutiger Sicht allerdings unwahrscheinlich.

Die Rolle der Neo-Broker

Die aufsichtsrechtlichen Fragestellungen beziehen als weiteren Akteur auch bestimmte Online-Broker mit ein, die im Zuge des Kurs-Hypes zum Teil an ihre technischen Grenzen kamen und den freien Handel kurzerhand vorübergehend einschränkten. Die GameStop-Aktie sowie weitere betroffene Aktien konnten bei diesen Brokern zwischenzeitlich nur noch verkauft, aber nicht mehr gekauft werden. Auch hier müssen die Aufsichtsbehörden klären, ob und inwiefern hier ein Markteingriff vorlag.

Die entsprechenden Broker begründeten ihren Schritt übrigens mit der Absicht, ihre Kunden schützen zu wollen. Später jedoch entschuldigten sie sich für die technische Störung. Auch wenn viele der betroffenen Anleger aufgrund dieses erzwungenen Stopps argwöhnten, man greife hier willentlich in den Markt ein, lag die Ursache doch schlicht in der Limitierung der technischen Leistungsfähigkeit bestimmter Broker und in den USA, wo die Broker ein anderes Geschäftsmodell haben, in der Limitierung der Liquidität. Andere Wettbewerber konnten den freien Aktienhandel weiterhin problemlos gewährleisten. Insofern war dieser Fall auch eine wichtige Bewährungsprobe für den noch jungen Markt an Neo-Brokern.

Wenn man den GameStop-Hype nun in einem größeren Zusammenhang betrachten möchte, ist genau das hier beobachtbare Verhalten zahlreicher Anleger der Knackpunkt an der ganzen Geschichte: Wer sein Geld in Aktien anlegt, muss die Funktionsweisen des Marktes verstehen. Börse ist ein langfristiges Geschäft und lohnt sich unterm Strich vor allem dann, wenn man zwischenzeitliche Schwankungen aussitzt und Nervenstärke beweist. Daytrading mag für viele verlockend klingen und wirft selbstverständlich mitunter auch ansehnliche Gewinne ab – gerade wer neu in der Welt der Aktien unterwegs ist, sollte sich von kurzfristigen und meist spekulativen Mitnahmeeffekten aber nicht blenden lassen. Den richtigen Ein- und Ausstiegszeitpunkt zu finden, gleicht eher einem Glücksspiel als einer ausgereiften Strategie.

Mit Spaß und finanzieller Bildung zum verantwortungsvollen Anleger werden

Wer Börse light erfahren möchte, findet zum Beispiel eine fast unendliche Auswahl an Investmentfonds, bei denen Profis auf Basis fundierter Analysen die Titelauswahl vornehmen – oder ETFs, die einen ausgewählten Markt abbilden. Anleger, die sich in den vergangenen Monaten erstmals selbst ein Depot zusammengestellt haben, können aber aus der reddit-Blase zumindest eines lernen: Börse macht Spaß und der Austausch in Finanz-Communities kann Impulse geben. Mit spekulativen Wild-West-Abenteuern sollte man den Kauf von Unternehmensanteilen allerdings nicht verwechseln – hierfür ist das dahinterstehende Anlageziel, nämlich finanzielle Verantwortung zu übernehmen und privat etwas gegen Altersarmut zu unternehmen, zu bedeutsam.

 

12. Februar 2021

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Autor

Thomas Soltau

Thomas Soltau ist seit Januar 2014 Vorstandsvorsitzender des in Berlin ansässigen und im Jahre 2000 gegründeten Finanzportalbetreibers wallstreet:online capital AG. Der gelernte Bankkaufmann begann seine Karriere im deutschen Kapitalanlage- und Fondsmarkt im Jahre 2003 und war 2006 bereits Teil der wallstreet:online capital-Familie, kurz nachdem das Webportal FondsDISCOUNT.de an den Markt ging. Mit seinem Team widmet er sich u.a. der stetigen Weiterentwicklung des Portals und betreut mit diesem Service heute einen der führenden Fondsvermittler in Deutschland. Zudem ging im Dezember 2019 der Online-Broker Smartbroker mit Herrn Soltau als Vorstand an den Start.

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