EU Private Markets: ESG Re-boot

Im Zuge der aktuellen globalen Entwicklungen wird zunehmend deutlich, dass ökologische und soziale Herausforderungen – sowie die Maßnahmen, die wir zur Bewältigung ergreifen müssen – dieses Jahrhundert grundlegend bestimmen werden. Diese sich entwickelnde Landschaft hat die globale politische Agenda verändert, was erhebliche Auswirkungen auf die Finanzwelt zur Folge hat. Da die Bedürfnisse nachhaltigkeitsbewusster Anleger, die gestiegenen regulatorischen Anforderungen und die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllt werden müssen, stellen ESG[1] und nachhaltige Finanzen die geschäftsstrategische Frage der Zukunft dar. In diesem Zusammenhang entwickeln sich ESG-Investitionen zu einem echten Paradigmenwechsel, von dem auch Private Markets (PM) nicht ausgeschlossen sind – insbesondere innerhalb der EU.

ESG löst einen umfassenden Neubeginn aus, der die Zukunft der Branche umstrukturiert. General Partner (GPs) werden zunehmend benötigt, um ESG ins Zentrum ihrer Investitionen, Risikominderungen und Alpha-Generierungs-Strategien zu positionieren. Dabei werden diejenigen, die verstehen, wie sie das Wertschöpfungs- und Schutzpotenzial von ESG in erheblichem Maße nutzen können ihre Wettbewerbsposition sichern oder sogar verbessern können.

[1] ESG Investitionen werden als Investition definiert, die Umwelt-, Gesellschafts- und/oder Governance-Faktoren berücksichtigen. Nachhaltige Anlagen sind Anlagen, die einen wesentlichen Beitrag zu einem Nachhaltigkeitsziel leisten, Verletzung anderer Ziele vermeiden und soziale Mindest- und Governance-Standards einhalten – Definition gemäß Offenlegungsverordnung für nachhaltige Finanzen Art. 2 (17).

Wettbewerbsvorteile:

Der Großteil der Diskussion über die transformativen Auswirkungen von ESG auf die Asset- und Wealth-Management-Landschaft bezog sich bisher auf den traditionellen Fondsbereich (OGAW). In den letzten Jahren hat sich jedoch ein historischer Vermögenswert- und Stimmungswandel innerhalb der europäischen PM-Branche vollzogen, bei welchem LPs, die Gesellschaft und die Aufsichtsbehörden ihre ESG-Forderungen verdoppelt haben. Ungeachtet dieser externen Triebkräfte sind auch die GPs selbst zunehmend für die Relevanz von ESG sensibilisiert worden. Wenn es diesen gelingt, ihre treuhänderischen Pflichten mit ESG-Werten in Einklang zu bringen kann von bedeutenden Wettbewerbsvorteilen profitiert werden:

  1. Erschließung von Alpha

Bei Berücksichtigung von an UN-SDG- oder EU Taxonomie- ausgerichteten Nachhaltigkeitszielen können bisher unerschlossene Wertschöpfungsmöglichkeiten entstehen. Ein erhebliches Alpha-Potenzial liegt hierbei in der Identifizierung und Unterstützung des Übergangs zu nachhaltigeren Wirtschaftsaktivitäten („Transition“-Management).

 

  1. Management von physischen Risiken und ESG-Risiken

EU-Regulierungsbehörden und Zentralbanken benötigen zunehmend PM-Akteure, um physische und ESG-Übergangsrisiken identifizieren, verwalten und offenlegen zu können. Die Auswirkungen dieser Anforderungen werden nicht nur die Wahrnehmung der Stakeholder und der Öffentlichkeit, sondern auch den Zielinvestitionswert bestimmen.

 

  1. Neudefinition der Treuhandpflichten

Dass Renditemaximierung und ESG-/Nachhaltigkeitsziele nicht vereinbar sind, ist nur eine Frage der Auffassung. Tatsächlich wird die Einführung neuer Regulierungen in Bezug auf ESG-Risiken und PAIs wahrscheinlich dazu führen, dass sich ESG als wertschöpfend oder –mindernd erweist und sich letztendlich zu einem zentralen Anlagekriterium entwickelt.

 

  1. Erhalt und Ausbau der LP-Basis

Die aktive Unterstützung von ESG und nachhaltigen Werten spielt eine zunehmend bedeutende Rolle in Bezug auf die Attraktivität von Private-Markets-Fonds. LPs sind vermehrt dazu verpflichtet, ESG-Risiken im Rahmen ihrer aufsichtsrechtlichen oder treuhänderischen Pflichten zu berücksichtigen. Dies hat zur Folge, dass GPs, die nicht zumindest einen Teil ihrer Produkte oder Geschäftsaktivitäten entsprechend positionieren, langfristig an Marktanteilen und Investoren verlieren werden.

 

  1. Sicherstellung einer kontinuierlichen Ausrichtung an die sich verändernden Stakeholder-Erwartungen

Wie es bei vielen anderen Unternehmensaspekten ebenso der Fall ist, werden auch die ESG-Bemühungen weitgehend von der Wahrnehmung und den Erwartungen der Stakeholder bestimmt. Während einige davon klar und formell definiert sind (z. B. verbindliche rechtliche Rahmenbedingungen), sind andere mehrdeutig und unterliegen raschen Veränderungen (z.B. Gesellschaft, Aktienmärkte und LP-Verhalten). Die kontinuierliche Anpassung an diese Wahrnehmungen und Erwartungen wird für die Attraktivität und den Erfolg von GPs immer entscheidender.

 

Prognosen

Die zunehmenden mit ESG verbundenen Möglichkeiten, gepaart mit den oben genannten externen Faktoren, haben zu einem regelrechten ESG-Anstieg an den europäischen Private Markets geführt. Die ESG-Vermögenswerte der PMs haben sich innerhalb der 3-Jahres-Periode von 2017 bis 2020 nahezu verdoppelt. Obwohl diese Entwicklung mehr als beeindruckend ist, gehen wir davon aus, dass die Industrie noch am Anfang der ESG-Metamorphose und kurz vor einem „Re-boot“ von historischem Ausmaß steht. Mit anderen Worten ausgedrückt: wir glauben, dass ESG die europäische PM-Landschaft in einem Tempo und Ausmaß neu erfinden wird, wie es seit der Ratifizierung der AIFMD im Jahr 2011 nicht mehr geschehen ist.

Unseren Prognosen zufolge werden die ESG-Vermögenswerte der europäischen PM-Branche bis 2025 auf 775,7 Mrd. bis 1,2 Bn. EUR ansteigen und damit zwischen 27,2 % und 42,4 % der gesamten PM-Vermögensbasis ausmachen. Insbesondere Real Assets werden bei diesem Anstieg eine bedeutende Rolle spielen; mit ESG-Vermögenswerten, die bis 2025 voraussichtlich 33,7 % bzw. 40,6 % von den gesamten Real Estate und Infrastruktur AuM ausmachen werden (vgl. Abbildung).

Diese Vermögenswertexplosion wird dazu führen, dass Europa allein zwischen 31 % und 35,9 % der globalen ESG-PM-Vermögenswerte ausmachen wird – was die Region an die Spitze der globalen ESG-PM-Landschaft positioniert. Der Umfang der europäischen Vorherrschaft in diesem Bereich wird dazu führen, dass der Einfluss Europas keinen Halt an physischen Grenzen macht, sondern sich auf die gesamte Welt ausbreiten wird.

 

Handlungsempfehlungen:

Vor diesem Hintergrund haben wir eine Reihe von grundlegenden Empfehlungen entwickelt, die GPs in Betracht ziehen sollten, um die erfolgreiche Umsetzung dieser Strategien und den effektiven, nachhaltigen Übergang ihrer jeweiligen Geschäftsmodelle gewährleisten zu können:

  1. ESG auf GP-Ebene meistern

Im Zusammenhang mit dem ESG- Re-boot, sollten die GPs eine strategische Entscheidung darüber treffen, welche Rolle sie als Unternehmen in diesem neuen Paradigma spielen wollen. GPs, die sich für ESG-Werte entscheiden und in dem neuen Umfeld eine führende Rolle einnehmen wollen, sollten ihre gesamte Geschäftstätigkeit durch eine „ESG-Linse“ betrachten, um den Übergang zu einer nachhaltigen Betriebsordnung in allen Facetten ihres Geschäfts voranzutreiben – angefangen vom Aufbau eines ESG-Kernteams bis hin zur Überarbeitung ihrer Einstellungs- und Weiterbildungspraktiken.

 

  1. Umsetzung einer ESG-Anlagestrategie

Um das volle Wertschöpfungspotenzial von ESG auszuschöpfen, sollten GPs sicherstellen, dass ESG- und Nachhaltigkeitsaspekte im gesamten Lebenszyklus ihrer Investitionen verankert sind, vom Screening bis zum Exit. Die wirksame Umsetzung einer gesetzlich konformen, nachhaltigen Anlagestrategie hängt insbesondere von der Formalisierung einer transparenten und konsistenten ESG-Policy, der Priorisierung wesentlicher ESG-Themen und der Ermittlung und Verfolgung ESG-bezogener KPIs ab. Der langfristige Erfolg wird wiederum weitgehend von einem angemessenen Engagement bei den Zielunternehmen abhängen sowie von dem Ausmaß, in dem es den GPs gelingt, diese Unternehmen zu nachhaltigeren Standards und Leistungen zu bewegen.

 

  1. Aktives Managen von ESG-Risiken

Regulatorische Entwicklungen – vor allem in Form der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) – haben zu einer regelrechten Institutionalisierung von ESG-Risikomanagementprozessen geführt, sodass GPs gezwungen sind, sich entsprechend anzupassen. GPs werden sich auch zunehmend der Rolle bewusst, die ESG-Risikomanagementprozesse bei der Vermeidung von Reputations- und finanziellen Verlusten in ihren eigenen Geschäften und in denen ihrer Portfoliounternehmen spielen. In diesem Zusammenhang versetzt die engere Einbindung der GPs in die Unternehmen sie in eine besonders privilegierte Position, um die ESG-Risikomanagementprozesse in den Unternehmen zu stärken – und damit die Widerstandsfähigkeit und die Bewertungen zu verbessern.

 

  1. Schaffung einer klaren und transparenten Berichterstattung

GPs sollten sicherstellen, dass ihre ESG-bezogenen Berichterstattungspraktiken nicht nur den Anforderungen der Regulierungsbehörden, sondern auch den sich entwickelnden – und zunehmend strengeren – Erwartungen der Investoren entsprechen. Dies erfordert eine kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Investoren. So kann sichergestellt werden, dass ihre Anforderungen an die Berichterstattung erfüllt werden, ebenso wie die Erwartungshaltungen an ESG-Faktoren und Minimalausschlusskriterien. Eine qualitativ hochwertige und transparente Berichterstattung ist auch von entscheidender Bedeutung wenn es darum geht, der breiteren Stakeholder-Basis das wachsende Engagement der GPs für ESG zu demonstrieren.

 

  1. Bewältigung der Datenherausforderung

Die effektive Bewältigung der ESG-bezogenen Datenherausforderungen ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass alle oben genannten Aktionspunkte wirksam umgesetzt werden können. Allerdings hat der Mangel an Datenstandardisierung und die nicht quantitative Natur den effektiven Umgang mit Daten zu einer besonders anspruchsvollen Aufgabe gemacht. Wir sind jedoch der Ansicht, dass die regulatorische Entwicklung hin zu mehr Transparenz und Standardisierung auf Unternehmensebene den GPs helfen wird, diese Probleme zu beheben – und damit letztlich einen Teil der seit langem bestehenden Transparenzbedenken zu zerstreuen. Ungeachtet der regulatorischen Entwicklungen werden die GPs am ehesten Erfolg haben, die bereit sind, modernste Technologien zu nutzen, um ihre ESG-Datenerfassungsprozesse zu optimieren und die gewonnenen Daten auf sinnvolle und aufschlussreiche Weise zu verwalten.

 

  1. Aufbau eines ESG-Kernteams

ESG- und Nachhaltigkeitsanforderungen sind in den letzten Jahren aufgrund der steigenden Investorennachfrage und den immer strengeren regulatorischen Entwicklungen exponentiell anspruchsvoller geworden. Angesichts dieser ständig steigenden Komplexität hängt der Erfolg aller ESG-Integrationsbemühungen – ob auf GP- oder Portfolio-Ebene – maßgeblich vom umfassenden, konsistenten und effektiven Management ESG- und nachhaltigkeitsbezogener Ziele, Kriterien und Vorgaben ab. Obwohl diese Fähigkeiten durch die Weiterbildung des Personals und eine klar strukturierte Unternehmensstruktur geschaffen und erworben werden können, sind wir fest davon überzeugt, dass die Bestrebung der GPs ein ESG-Kernteam zu bilden grundlegend entscheidend ist.

 

05. November 2021

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Autor

Olivier Carré

Olivier Carré ist Partner und Leiter der regulatorischen Beratung bei PwC Luxemburg. Er hat eine breite Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche und vor allem in der Private Banking und Investmentfonds-Industrie. Herr Carré ist, mit seinen Kernschwerpunkten auf regulatorischen und Compliance Themen, MiFID II Leader und BREXIT-Experte. Zum Themengebiet BREXIT arbeitet er und sein Team eng mit dem PwC Netzwerk in Großbritannien zusammen, um internationalen Finanzdienstleistern bei allen Eventualitäten der BREXIT-Verhandlung zu unterstützen. Darüber hinaus hat er Kunden bei der Analyse und Umsetzung von regulatorischen Anforderungen wie AIFMD, FATCA, UCITS IV und EMIR geholfen.

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