Die Private Equity Branche in einer Zeit, die drängt

Die Private Equity Branche sieht sich zum Ende der ersten Jahreshälfte 2022 großen Herausforderungen gegenübergestellt. Der Angriff Russlands auf die Ukraine, der bedeutendste Angriff auf ein anderes Land seit dem Zweiten Weltkrieg, zieht globale wirtschaftliche Folgen mit sich und hat die noch zum Jahreswechsel 2021/22 bestehende Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erholung post-Covid zunichte gemacht. Die Weltordnung ist durch den Ukraine-Krieg erschüttert und wird wohl langfristig eine andere bleiben.

Der zunächst coronabedingte, vor allem auf Engpässen in Lieferketten basierende enorme Inflationsdruck hat sich zu einem Inflationsschock entwickelt. Global lag die jährliche Inflation in 15 von 34 Industrieländern bereits zum Dezember 2021 bei über 5%. Im Euro-Raum liegt die jährliche Inflationsrate zum Mai 2022 bei +8,1 %. Nach der bereits dritten Leitzinserhöhung durch die US-Notenbank Fed seit März 2022, ziehen nun Europas Währungshüter nach und haben eine erste Zinserhöhung seit elf Jahren zum Juli 2022 um jeweils 25 Basispunkte angekündigt. Ungeachtet dessen spitzen sich die globalen Lieferkettenprobleme weiterhin zu. Rohstoffe werden knapp und unterliegen in ihrer Verfügbarkeit plötzlich dem Risiko politischer Entscheidungen Einzelner. Der Aktienmarkt schwankt (minus 17 % beim DAX Januar – Mitte Juni 2022) und die Perspektiven sind nervös.

Kapitalanleger stehen vor der Frage, wie sich ein kontrollierter Verlust von Kaufkraft ihres Vermögens vermeiden lässt. Private Equity übertrifft seit vielen Jahren – gerade auch in Krisenzeiten – die Wertentwicklung von Public Equity. Seit 2017 generiert Private Equity umgerechnet zusätzliche 83 Cent pro investiertem Dollar (1) und im Jahr 2021 lag der gepoolte IRR von Private Equity bei 27 Prozent. Damit zählt Private Equity zur leistungsstärksten Anlageklasse auch innerhalb der Privatmärkte. Im Jahr 2021 haben niedrige Zinsen und Subventionsprogramme zur Stützung der Wirtschaft zu einem historischen Anstieg von Transaktionen geführt: die globalen AuM in Private Equity lagen in diesem Jahr bei der Rekordsumme von 6.3 Mrd. USD. Mit dem Jahr 2022 änderte sich der globale Markt und künftige Renditen dürften weniger durch Fiskal- und Geldpolitik als vielmehr durch makroökonomische Fundamentaldaten beeinflusst werden. Es ist in jedem Fall davon auszugehen, dass Investoren die Branche auch weiterhin mit Kapital fluten werden.

Der Impakt auf Private Equity Transaktionen in Europa aufgrund des Ukraine-Kriegs ist bis dato überschaubar, weil das ökonomische Gewicht Russlands in vielen Märkten begrenzt ist. Je länger der Krieg anhält, desto stärker wird sich dies aber auf Transaktionen auswirken: der Krieg erhöht die Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung der Gesamtwirtschaft und reduziert die Planbarkeit wichtiger Kostenpositionen wie z. B. Energie und Rohmaterial. Dies wird künftige Transaktionen erschweren.

Neben klassischen Rendite-Überlegungen wird für Investoren ESG als Investitionskriterium zunehmend relevant. Bereits im Jahr 2021 floss mehr als 50% des gesamten Fundraisings weltweit – der höchste Prozentsatz aller Zeiten – Private Equity Unternehmen mit einer formell definierten ESG Verpflichtung zu. Ökologische Nachhaltigkeit hat bei den Anlegern hohe Priorität und die aktuelle geopolitische Lage verstärkt diese Priorität. Die Notwendigkeit Europas einer weitgehenden Energieunabhängigkeit und -sicherheit wird in drastischer Weise aufgezeigt und so sind im Bereich erneuerbarer Energien erhebliche Investitionen zu erwarten. Nicht zuletzt wächst das Bewusstsein, dass kriegerische Konflikte die mittlerweile existenziellen Klimaschutzbemühungen um den Planeten zurückwerfen und deutliche Gegenmaßnahmen erfordern.

Wird der Krieg bestimmte ESG-Themen ändern? Wie werden ESG-orientierte Anleger künftig über Rüstungsunternehmen denken? Wie werden soziale Bedürfnisse nach verfügbaren Lebensmitteln abgewogen gegenüber ökologischen Bedürfnissen? Engpässe bei Weizen und anderem Getreide könnten zum Beispiel dazu führen, dass in Ländern wie Brasilien mehr produziert wird, was die Bemühungen erschwert, die Abholzung des Amazonas zu stoppen. ESG-Themen dürften künftig noch komplexer und ausgewogener diskutiert werden.

Die Herausforderungen unserer Zeit sind enorm und sie sind dringlich. Private Equity kommt in diesem Umfeld Augenmerk seitens der Investoren zu: eine Opportunität, die vor allem solche PE Häuser nutzen können, die ESG Kriterien in ihren Transaktionen berücksichtigen. Dabei sieht sich der Erfolg der Branche erstmals seit vielen Jahren deutlich eingebettet in die großen Themen Klimapolitik, Geopolitik und Makroökonomie. Die Private Equity Branche darf sich angesichts der drängenden, globalen Herausforderungen ihrer Verantwortung gegenüber Investoren, Gesellschaft und Umwelt bewusst sein.

 

29. Juni 2022

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Autor

Dr. Carmen von Nell-Breuning

Dr. Carmen von Nell-Breuning ist Senior Advisor im Bereich Investmentfonds der Wirtschaftskanzlei Clifford Chance und verfügt über mehr als 15 Jahre Berufserfahrung im Bereich Alternativer Investmentfonds am Finanzplatz Luxemburg. Sie ist Co-Vorsitzende des Sounding Boards der Luxemburger Private Equity Vereinigung (LPEA). Vor ihrer Tätigkeit bei Clifford Chance leitete Frau von Nell-Breuning das Private Equity Business Development einer der BIG4 in Luxemburg. Sie war zudem mehrere Jahre in einer grossen deutschen Bank in Luxemburg tätig. Frau von Nell-Breuning hält einen Doktor in Sozial- und Wirtschaftswissenschaften.

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