Die Eindämmung des Klimawandels durch den European Green Bond Standard

Lediglich wenige Wochen ist es her, dass etliche Menschen im Süden Deutschlands aufgrund von schweren Überschwemmungen ihre Häuser verlassen mussten – ein Ereignis, das auf unheimliche Art an die Fluten erinnert, welche im Sommer 2021 ganze Teile Nordeuropas verwüsteten. Dies verblasst jedoch beinahe angesichts der katastrophalen Überschwemmungen, die im April 2024 den Bundesstaat Rio Grande do Sul im Süden Brasiliens heimsuchten und über eine halbe Million Menschen in die Flucht schlugen. Laut Washington Post befinden wir uns inmitten einer „Klimaflüchtlingskrise“, die aller Voraussicht nach fortdauern wird und bei der Überschwemmungen und andere extreme Wetterereignisse an Häufigkeit und Intensität zuzunehmen drohen.

Die Dringlichkeit, Umweltinnovationen zu finanzieren und die verheerenden Folgen des Klimawandels einzudämmen, zeigt sich heute deutlicher denn je, da die öffentlichen Haushalte, die bereits unter der steigenden Staatsverschuldung seit der globalen Finanzkrise 2008 sowie der COVID-19-Pandemie ächzen, diese Herausforderungen nicht aus eigener Kraft stemmen können. Das Pariser Klimaabkommen markierte Ende des Jahres 2015 daher einen historischen Meilenstein, indem es die Bedeutung von privatem Kapital im Kampf gegen den Klimawandel bekräftigte.

Um die bestehende Finanzierungslücke zu schließen, entstanden in den letzten zwei Dekaden unterschiedliche Finanzprodukte und -instrumente, unter jenen sich sogenannte Green Bonds als besonders populäre Antwort etablierten. Im Zuge der offiziellen Publikation der europäischen Green Bond Standard Regulation im Amtsblatt der Europäischen Union bietet sich nun die passende Gelegenheit, eine Bestandsaufnahme des globalen Green Bond Marktes vorzunehmen und zu reflektieren, inwiefern dieses Instrument zur Dekarbonisierung der Weltwirtschaft beitragen kann.

Green Bonds: Ein kurzer Abriss

Mit der Lancierung des weltweit ersten „Climate Awareness Bond“ zur Finanzierung von Projekten im Bereich erneuerbare Energien und Energieeffizienz schrieb die Europäische Investitionsbank im Juli 2007 Klimageschichte.  Zu dieser Zeit existierten weder formale Definitionen noch allgemein akzeptierte Standards für diese „grüne Anleihen“.

Heute definieren sich Green Bonds im Allgemeinen als Anleihen, die „Projekte mit positiven Umwelt- und/oder Klimaeffekten finanzieren“, wie es die Climate Bonds Initiative (CBI) formuliert, eine Non-Profit-Organisation, die sich der Mobilisierung von Kapital zur Finanzierung des Klimaschutzes verschrieben hat.

Daten der CBI belegen ein enormes Wachstum des Marktes für Green Bonds seit deren Entstehung. Wie aus Abbildung 1 hervorgeht, stieg das globale Volumen grüner Anleihen bis Ende Dezember 2023 auf 587,7 Mrd. USD an. Ein beeindruckender Zuwachs im Vergleich zu den lediglich 37 Mrd. USD im Jahr 2014.

Abbildung 1. Green Bonds – ausgegebenes Volumen pro Region (Mrd. USD) 

Quelle: CBI

Mit einem Anteil von rund der Hälfte (52,7%) des Gesamtvolumens per Ende 2023 dominiert Europa seit geraumer Zeit den Markt für Green Bonds. Wie Abbildung 2 zeigt, etabliert sich zunehmend auch der asiatisch-pazifische Raum als bedeutender Akteur auf dem globalen Green Bond-Markt. Mit einem Volumen von 190,2 Mrd. USD Ende 2023 beträgt dessen Marktanteil beinahe ein Drittel, verglichen zu dem kaum relevanten Volumen von 4,3% im Jahr 2014.

 

Abbildung 2. Green Bonds – ausgegebenes Volumen pro Region (in Prozent) 

Quelle: CBI

Auch die Zusammensetzung der Emittenten veränderte sich stark. Während multilaterale Entwicklungsbanken im Jahr 2014 noch fast die Hälfte der Emittenten ausmachten (42%), zeigt sich der Markt heute wesentlich diversifizierter. Sowohl finanzbezogene als auch nicht-finanzbezogene Unternehmen machen neben staatlichen Institutionen die Mehrheit der Emissionen von Green Bonds aus.

 

Abbildung 3. Green Bonds – Emittententyp (Mrd. USD)

Quelle: CBI

Obwohl dieses starke Wachstum auf ein gestiegenes Interesse jener Anleger an Anleihen hindeutet, deren Erträge zur Unterstützung des ökologischen Wandels eingesetzt werden, bleibt auch der Green Bond Markt nicht von einer Reihe an Herausforderungen und Schwächen unberührt.

Grüne Anleihen zählen zu einer größeren Gruppe von ESG-bezogenen Anleihen, die allgemein als grüne, soziale und nachhaltigkeitsorientierte Anleihen (green, social, sustainability and sustainability-linked; GSSS) kategorisiert werden. In einem solch breiten Spektrum verwässern formale Definitionen relativ leicht, weshalb einige dieser Anleihen in den letzten Jahren aufgrund ihrer laxen Zielvorgaben und des Fehlens einer externen Kontrolle sowie einer glaubwürdigen Berichterstattung über die Verwendung der Erlöse zunehmend in Kritik geraten sind.

Insgesamt litt der Markt unter mangelnder Standardisierung und unzureichender Kontrolle hinsichtlich der Mittelverwendung. Trotz der couragierten Bemühungen seitens der CBI und der International Capital Market Association, freiwillige Standards zu etablieren und zu fördern, warf der Vorwurf des Greenwashings einen Schatten auf den umfassenderen Markt für GSSS-Anleihen. In der Tat identifizierte die CBI eine nennenswerte Anzahl von Green Bonds, die den geforderten Standards nicht entsprachen. So gaben mitunter Unternehmen, die in stark umweltschädigenden Branchen operierten, Green Bonds unter dem kontroversen Argument aus, diese Mittel zur Reduzierung ihrer Emissionen zu verwenden.

European Green Bond Standard: Die regulatorische Lücke schließen

Inmitten dieser unübersichtlichen Gemengelage hat sich die Europäische Union eingeschaltet, um eine dringend erforderliche regulatorische Klarheit im Green Bond Markt in der Hoffnung zu schaffen, mit diesen regulatorischen Fortschritten in Europa auch global richtungsweisend zu wirken.

Die Verordnung (EU) 2023/2631 über den European Green Bond Standard (EU-GBS), die erstmals im Juli 2021 von der Europäischen Kommission vorgeschlagen und zur Förderung nachhaltiger Finanzen sowie zum Schutz von Investoren vor unbegründeten Umweltbehauptungen entwickelt wurde, tritt am 21. Dezember 2024 in Kraft.

Die EU-GBS-Verordnung bestimmt, dass eine grüne Anleihe als ein Finanzinstrument zu verstehen ist, dessen Erlöse ausschließlich zur Finanzierung oder Refinanzierung von neuen oder bereits existierenden grünen Projekten dienen. Sie erfordert zudem, dass sämtliche Mittel aus diesen Anleihen in EU-Taxonomie-konforme Projekte fließen, und verpflichtet Emittenten dazu, umfassende Informationen über die Verteilung der Erlöse sowohl vor als auch nach der Ausgabe offenzulegen. Ein entscheidender Aspekt der Verordnung besteht zudem in der Forderung eines unabhängigen Auditors, der von der European Securities and Markets Authority (ESMA) zugelassen und reguliert wird, um die Konformität der Anleihe mit der Verordnung und die Übereinstimmung der finanzierten Projekte mit der EU-Taxonomie zu gewährleisten.

Eine häufig geäußerte Kritik betrifft jedoch die freiwillige Natur der EU-GBS. Bedenken werden laut, dass die Ausgeber von Green Bonds durch jene Freiwilligkeit die anspruchsvollen Kriterien schlicht umgehen können, was wiederum die flächendeckende Implementierung dieser Standards zu unterminieren droht.

Gleichwohl bestimmt die Verordnung, dass die Europäische Kommission fünf Jahre nach dem Inkrafttreten der Standards mit ihrer Überprüfung beauftragt wird, was die Möglichkeit einer verbindlichen Einführung der EU-GBS in der nahen Zukunft offenhält. Wie in einer Stellungnahme von November 2021 dargelegt, empfahl die Europäische Zentralbank primär eine ausgewogene Vorgehensweise. Sie schlägt vor, die EU-GBS zunächst für einen Zeitraum von „drei bis fünf Jahren“ auf freiwilliger Basis einzuführen, bevor sie zu einem verpflichtenden Regelwerk werden.

Letztlich ist für eine effektive Bekämpfung des Klimawandels und eine Verringerung extremer Wetterphänomene eine deutliche Expansion des Marktes für Green Bonds unter der Einbeziehung verschiedenster Emittentengruppen notwendig. Dieses Wachstum setzt allerdings Transparenz, klare Richtlinien und unabhängige Verifizierung voraus, um zu sichern, dass Mittel aus den Anleihen tatsächlich in vorgesehene Projekte fließen. Angesichts dieser Umstände erscheint die EU-GBS-Verordnung gegenwärtig als das passende Instrument zur passenden Zeit und könnte dazu führen, dass Green Bonds, die heute freiwillig die Standards einhalten, schon morgen jene überflügeln könnte, die dies nicht tun.

 

 

07. August 2024

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Autor

Dariush Yazdani

Dariush Yazdani leitet das AM Market Research Centre innerhalb von PwC Luxembourg. Er verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Finanzdienstleistungsbranche und hat verschiedene Forschungs- und Thought-Leadership-Studien geleitet und war zudem in der strategischen Beratung von Kunden tätig.

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