Der Fall Woodford: Wenn nervöse Anleger auf illiquiden Anlagen sitzen

Der drohende Kollaps des Woodford Equity Income Fund (WEIF) in Großbritannien wird womöglich nicht nur (Ex-)Star-Fondsmanager Neil Woodford seine Firma kosten. Die Krise wirft auch einen Schatten auf die, besonders unter institutionellen Investoren, immer beliebteren illiquiden Anlagen und deren Beaufsichtigung.

Man kann den Fall Neil Woodfords, der zurzeit britische Anleger, Medien und die Finanzaufsicht in Atem hält, aus drei Perspektiven erzählen: als Drama von Aufstieg und Fall eines ehemaligen Star-Fondsmanagers, als Beweis der Nachlässigkeit der Aufseher, oder als Vorboten der Schwierigkeiten aktiver Asset Manager, wenn sie mit illiquiden Anlagen jonglieren. Vor allem aber ist er eine Warnung, wie widerstrebend die maßgeblich Beteiligten in der Angelegenheit kommunizieren.

Was ist passiert?

Neil Woodford, der sich nach 26 Jahren in Diensten von Invesco 2014 mit seiner Firma Woodford Investment Management selbständig gemacht hatte, war bei Anlegern beliebt. Sowohl bei den großen institutionellen Investoren wie St. James‘s Place und dem Kent County Council Pensionsfonds als auch bei vielen Kleinanlagern, die über die führende britische Retail-Fondsplattform Hargreaves Lansdown fleißig vor allem in seinen Flaggschifffonds investierten, den Woodford Equity Income Fund (WEIF).

„Sein Ansatz, der ebenso auf maßgeschneiderter Forschung basierte wie auf Bauchgefühl und dem Wunsch, gegen den Strich zu bürsten, spaltete die Meinungen“, schreibt der Economist[1] über Woodford. Aber die Investoren auf der Insel trauten ihm: Innerhalb kurzer Zeit schaffte es Woodford, den WEIF auf ein Volumen von rund zehn Milliarden GBP zu hieven. Rund 1,6 Milliarden davon sind direkt oder indirekt bei Kunden von Hargreaves Lansdown geparkt – und brachten der Fondsplattform eine satte Gewinnmarge.[2]

Woodfords Stil, in große, Dividenden zahlende Konzerne (Blue Chips) zu investieren, änderte sich im Laufe der Zeit. Der Manager setzte immer öfter auf die vermeintlichen Gewinner von morgen: Kleine, zum Teil nicht einmal börsennotierte und illiquide Unternehmen mit Fokus auf dem britischen Heimatmarkt. Doch seine riskanten Wetten gingen nicht auf, seine Performance war durchwachsen und Anleger zogen viel Geld aus dem WEIF ab.

Anfang Juni war der Fonds nur noch 3,7 Milliarden GBP schwer und als das Kent County Council am 3. Juni sein Mandat in Höhe von 263 Millionen GBP abziehen wollte, wurde der WEIF für Rückzahlungen gesperrt. Diese Sperre hat weiterhin Bestand. Bemerkungen von Woodfords Firma lassen darauf schließen, dass sie noch Monate aufrecht erhalten wird, bis der Fonds genügend liquide Mittel freigesetzt hat, um ungeduldige Investoren auszuzahlen.[3]

Die Erwartungen im Markt sind, dass Anleger in Scharen aus dem WEIF fliehen werden, sobald sie dazu wieder in der Lage sein werden. Aus Woodfords zweitem Fonds, dem Woodford Income Focus Fund (WIFF), zogen Anleger bis Mitte Juni bereits innerhalb von zehn Tagen 116 Millionen GBP ab.[4] Marktbeobachter zweifeln mittlerweile öffentlich daran, ob Woodfords Firma den Verlust an Assets und Vertrauen überleben wird.[5]

Was dem oft bodenständig auftretenden Woodford zum Verhängnis wurde, sei jedoch nicht seine schlechte Performance gewesen, urteilt Financial Times-Kolumnistin Merryn Somerset Webb. Vielmehr sei es eine ganze Reihe von Kardinalfehlern gewesen: „Mr. Woodford hat zu schnell zu viel Geld eingesammelt. Er glaubte an seinen eigenen Hype und vergaß, dass ihm das Team bei Invesco und vor allem das Risikomanagement und seine Compliance-Kontrollen geholfen hatten. Am schlimmsten aber war, dass er Investmentstile mischte und veränderte.“[6]

Finanzaufsicht in Verlegenheit

Woodfords Krise hat sich inzwischen ausgeweitet und sowohl Hargreaves Lansdown als auch die britische Finanzaufsicht, die Financial Conduct Authority (FCA),[7] in Verlegenheit gebracht.

Der Chef der Fondsplattform, Chris Hill, musste sich zuerst öffentlich dafür entschuldigen, warum Hargreaves den WEIF – trotz der anhaltend schlechten Performance und Zweifel an seiner Liquidität – nicht früher von seiner Empfehlungsliste „Wealth 50“ genommen hatte. Zwei Tage später verzichtete Hargreaves auf die Plattformgebühren für den Fonds.

Einen weiteren Tag darauf verlangte die Vorsitzende im Finanzausschuss des britischen Parlaments, Nicky Morgan, Anleger sollten überhaupt keine Managementgebühren für den WEIF zahlen, so lange dieser gesperrt sei.[8] Und während Neil Woodford sich bislang weigert, dieser Forderung nachzukommen,[9] hat Hargreaves-Lansdown-CEO Hill persönliche Konsequenzen gezogen und erklärt, er verzichte auf seinen Bonus von 2,1 Millionen GBP.[10]

„Die Akteure in Woodfords Investmentdrama haben sich nicht um schnelle Aufklärung und Kommunikation bemüht.“

Morgan und weitere Mitglieder des Parlaments (zur Abwechslung mal nicht in Grabenkriegen über den Brexit-Fortgang vertieft) stellen der FCA die unangenehme Frage: „Hat die Aufsicht am Steuer geschlafen, als der Fondsmanager in die Krise geriet?“[11] Morgan hat inzwischen eine parlamentarische Untersuchung in Gebühren und Transparenz der gesamten Fondsbranche angekündigt.[12] Für den Noch-Chef der FCA, Andrew Bailey, kann der Fall Woodford zum Karriereknick werden: Seiner Nachfolge auf den Posten von Mark Carney am Kopf der Bank of England werden nur noch geringe Chancen eingeräumt.[13]

Ob Woodford, Hill oder Bailey – die maßgeblichen Akteure in diesem Investmentdrama haben sich nicht um schnelle Aufklärung und Kommunikation mit den Anlegern bemüht.

Bank of England-Chef warnt vor illiquiden Fonds

Es war übrigens Carney, der erst vor kurzem wieder auf die Gefahren von illiquiden Fonds hingewiesen hat: Auf einer Tagung in Tokio warnte der Gouverneur der Bank of England vor Investmentfonds, die ihren Kunden zwar tägliche Liquidität versprechen, das Kapital aber zum Teil in illiquiden Anlagen investieren – rund 30 Billionen USD seien in solchen Fonds bereits angelegt, so Carney.[14]

Der Fall Woodfords wirft somit auch einen Schatten auf die Liquidität von Anlagen wie privaten Beteiligungen (Private Debt) oder Real Assets, die gerade unter institutionellen Investoren in Zeiten niedriger Zinsen beliebt sind.

Stabile, berechenbare Erträge aus langfristigen Anlagen – wer würde da schon nein sagen? Problematisch wird es allerdings, wenn Investoren unerwartet aus diesen Investments aussteigen wollen, die Auszahlungen aber gesperrt werden … man erinnere sich nur an die Krise der offenen Immobilienfonds in Deutschland 2008[15] und in Großbritannien kurz nach dem Brexit-Votum 2016.[16]

Noch im Oktober vergangenen Jahres hatte die FCA ein 79 Seiten langes Beratungspapier zum Risiko illiquider Anlagen veröffentlicht, das im April aktualisiert wurde.[17] Michael Busack, Herausgeber des institutionellen Magazins Absolut report, hat es im Vorwort der aktuellen Ausgabe auf den Punkt gebracht: „Nichts ist gefährlicher als ein illiquides Investment, das unter Druck und ggf. der Kenntnis anderer Marktteilnehmer verkauft werden muss.“[18]

25. Juni 2019

Neil Woodford (Quelle: Financial News, 13. Mai 2019 - Tom Pilston)

Performance WEIF vs. FTSE All-Share Index, Juni 2014 bis Juni 2019 (Quelle: The Economist, 8./9. Juni 2019)

Illiquide Anlageklassen gehörten zu den -5-Anlageklassen europ. Fondsselektoren Q3-2018 (Quelle: Expert Investor, 15. November 2018)


[1] Quelle: The Economist, 08/06/2019: “Woodford, felled
[2] Quelle: Bloomberg News, 19/06/2019: „https://www.bloomberg.com/news/articles/2019-06-19/one-in-four-hargreaves-lansdown-clients-exposed-to-woodford-fund
[3] Quelle: The Times (Print), 15/06/2019: “Investors are told to prepare for the worst”
[4] Quelle: The Guardian, 14/06/2019: “Neil Woodford dealt further investment fund blow
[5] Quelle: The Daily Telegraph (Print), 15/06/2019: “’To survive, Woodford will need a miracle’”
[6] Quelle: Financial Times (Print), 08-09/06/2019: “How Woodford broke all the ground rules”
[7] Quelle: Website FCA, 05/06/2019: Update on LF Woodford Equity Income Fund
[8] Quelle: BBC Website 09/06/2019: “Hargreaves Lansdown boss apologises for Woodford suspension
[9] Quelle: Daily Express (Print), 12/06/2019: “Woodford gets tough on fees”
[10] Quelle: Bloomberg News, 15/06/2019: “Hargreaves Lansdown CEO to Forgo Bonus for Touting Woodford
[11] Quelle: The Guardian, 10/06/2019: “Regulator asked by MPs to reveal details of contact with Neil Woodford
[12] Quelle: Sunday Times, 16/06/2019 (Print): “Time to come clean: now all fund firms face probe by MPs”
[13] Quelle: Bloomberg News, 12/06/2019: “Will Woodford Debacle Decide Carney’s Replacement?
[14] Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 10/06/2019: „Die Vielfalt der Anlagemöglichkeiten hat sich verbessert, kann aber auch Probleme bereiten
[15] Quelle: Das Investment, 28/07/2016: „8 Jahre nach der großen Krise: So viel verloren offene Immobilienfonds in der Abwicklung
[16] Quelle: Handelsblatt, 06/07/2016: „Das London-Problem deutscher Immobilienfonds
[17] Quelle: FCA-Positionspapier, Oct. 2018: “Consultation on illiquid assets and open‑ended funds and feedback to Discussion Paper DP17/1
[18] Quelle: Editorial Absolut Report, 2/2019: „Absolut liquide …

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Autor

Hagen Gerle

Hagen Gerle ist Spezialist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen aus der Finanzbranche. Der gelernte Tageszeitungsredakteur und ehemalige Kommunikationsmanager von Fidelity Investments berät seit 1994 vorrangig ausländische Fondsgesellschaften, die seit kurzem im deutschen Markt tätig sind oder ihren Markteintritt dort noch planen.
2002 gründete er sein eigenes Beratungsunternehmen in Frankfurt/Main. Gerle Financial Communications bietet Kunden strategische Beratung, Medienarbeit, Investment writing und die Erstellung von Unternehmenspublikationen. 2011 siedelte Hagen Gerle mit Familie und Geschäft in den Südwesten Englands um, von wo er Finanzunternehmen in verschiedenen Ländern betreut.

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