Brexit-Update: Fünf Jahre außerhalb der EU haben britischer Finanzindustrie geschadet

Vor fünf Jahren hat Großbritannien die Europäische Union verlassen. Der „Befreiungsschlag“, den die Brexit-Befürworter proklamierten, ist ausgeblieben, und die meisten Briten bereuen den EU-Austritt mittlerweile. Die neue Labour-Regierung in London versucht, die Beziehungen zum einstmals größten Handelspartner zu verbessern. An eine (baldige) Rückkehr in die EU glaubt auf der Insel aber wohl niemand. Post-Brexit verliert die britische Finanzindustrie weiter an Gewicht.

Wie die Zeit vergeht! Am 31. Januar sind es fünf Jahre, seit Großbritannien die Europäische Union verlassen hat (Brexit).[1] Die tatsächliche Trennung von der EU erfolgte nach einer Übergangsperiode im folgenden Jahr. Doch der „Befreiungsschlag“, den die Brexit-Befürworter nach dem knapp ausgegangenen Referendum im Juni 2016 (52% stimmten für den Austritt, 48% dagegen) proklamiert hatten, ist bislang ausgeblieben.

Denn der Brexit hat eben nicht die souveräne Handelsnation („free buccaneering“) gebracht, die sich ihre Partner frei in aller Welt aussuchen kann, ohne dabei von lähmenden EU-Regularien zurückgehalten zu werden. Stattdessen gibt es neben höheren Preisen auf importierte Produkte mehr Bürokratie im Warenverkehr und Personenkontrollen zum und vom Kontinent.

Die meisten Briten bereuen den Austritt aus der EU: In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Frühjahr vergangenen Jahres sagten sechs von zehn Bürgern des Vereinigten Königreichs (United Kingdom, UK) , der Brexit sei eine falsche Entscheidung gewesen.[2]

Selbst die neue Oppositionsführerin im britischen Parlament, Kemi Badenoch, deren Tory-Partei den Brexit vorangetrieben (und darüber zwei Premierminister verschlissen) hatte, musste kürzlich eingestehen: Die EU zu verlassen, ohne einen Wachstumsplan zu haben, sei wohl keine so gute Idee gewesen.[3]

Starmer will Beziehungen verbessern

Die aktuelle, seit vergangenem Sommer amtierende Labour-Regierung unter Premierminister Sir Keir Starmer hat sich gleich nach ihrem Amtsantritt daran gemacht, die Beziehungen zum einstmals größten Handelspartner zu verbessern.[4]

So führte Starmers zweite Reise (die erste war dem NATO-Gipfel in Washington vorbehalten) nach Berlin, wo der Fußballfan das Europameisterschaftsfinale anschaute; danach ging es nach Paris zu Präsident Manuel Macron und der Eröffnung der Olympischen Spiele, dann wieder nach Berlin zu Bundeskanzler Olaf Scholz, gefolgt von Stationen in Paris, Dublin und Brüssel.[5]

In den britisch-kontinentaleuropäischen Beziehungen gibt es unter Starmers Führung viel aufzuholen. Londons gutem Willen müssen aber Taten folgen. Denn trotz aller Bekundungen des Premiers, nach Jahren der Anfeindungen und Abgrenzung wieder eine gute Arbeitsbeziehung herzustellen: Die EU will erst einmal sehen, dass Großbritannien die bisherige, recht dünne Vereinbarung zum Austausch von Waren korrekt umsetzt.

An die Rückkehr in die EU glaubt keiner

Denn hier hakt es bereits: Laut einer jüngst veröffentlichten Prognose der Boston Consulting Group wird der britische Warenhandel in den zehn Jahren ab 2023 voraussichtlich nur um durchschnittlich 0,7 Prozent jährlich wachsen. Er wird damit weit unter dem weltweiten Durchschnitt liegen.[6] Das liege an Reibereien mit der EU nach dem Brexit und an den Zöllen, die unter der kommenden Amtsführung von US-Präsident Donald Trump erwartet werden, so die Managementberater.

Ob bei Lebensmittelkontrollen, in der Verteidigungspolitik, der Anerkennung von Berufsabschlüssen oder speziellen Visa für junge Menschen und Künstler – die Liste der drängenden Themen, bei denen die neue britische Regierung und der Kontinent zusammenarbeiten sollten, wird immer länger. An eine (baldige) Rückkehr in die EU glaubt auf der Insel trotzdem niemand.

„In den britisch-europäischen Beziehungen gibt es unter Starmers Regierung viel aufzuholen. Londons gutem Willen müssen aber Taten folgen.“

Hagen Gerle

Zumindest eine Erleichterung, wenn auch kein annähernder Ersatz für das Freihandelsabkommen innerhalb der EU, deutete sich dieser Tage an: EU-Handelskommissar Maros Sefcovic sagte in einem BBC-Interview, die EU sei offen für Gespräche über einen Beitritt des Vereinigten Königreichs zum sogenannten „Pan-Europa-Mittelmeer-Abkommen“ (PEM). Dieses Programm wurde 2012 zwischen der EU sowie Territorien und Ländern von den Färöer-Inseln bis Tunesien vereinbart. Es trägt dazu bei, die Lieferkette zu erweitern, die Unternehmen für ihren Handel zwischen der EU und anderen Mitgliedern nutzen können.[7]

Finanzindustrie verliert Geschäft und Mitarbeiter an den Kontinent

Die britische Finanzindustrie verliert post-Brexit weiter an Bedeutung.

Zwar ist Großbritannien, so der aktuelle Bericht des Lobbyverbandes TheCityUK, 2023 der größte Nettoexporteur von Finanzdienstleistungen weltweit geblieben.[8] Doch die Konkurrenz schläft nicht: Nach Berechnungen des Nachrichtendienstes Reuters auf Basis von Daten des Internationalen Währungsfonds haben die Republik Irland, Frankreich und Deutschland Ende 2022 gemeinsam erstmals mehr Finanzdienstleistungen (in Mrd. US-Dollar) weltweit exportiert als das Vereinigte Königreich.[9]

Finanzdienstleistungen: Deutschland, Frankreich, Irland gemeinsam haben UK 2022 erstmals überholt

Quelle: Reuters

Das mag auch daran liegen, dass die Relevanz Londons als internationaler Börsenplatz stark nachgelassen hat: Mittlerweile rangiert die Börse in der Hauptstadt bei Aktienerstnotierungen (IPOs) weltweit hinter Handelsplätzen wie Oman, Malaysia und Luxemburg, errechnete die Nachrichtenagentur Bloomberg im vergangenen Herbst.[10]

Gleichzeitig kehren immer mehr Firmen dem britischen Aktienmarkt den Rücken, sei es wegen Übernahmen oder durch sogenannte „Delistings“ von der Börse, zum Beispiel durch Private Equity-Häuser. Das trifft besonders das Segment der kleineren Betriebe. Wenn das Tempo dieser „De-equitisation“ so weitergehe, zitiert Bloomberg einen Marktkenner, „dann wird das letzte Unternehmen den FTSE Smallcap 2028 verlassen“.[11]

Vor allem die fortschreitende Verlagerung von Jobs in der Bankbranche ist ein deutliches Zeichen des Wandels. Der letzte „Bürgermeister“ der City of London, Michael Mainelli, schätzt, dass der Brexit Londons Finanzzentrum 40.000 Jobs gekostet hat – deutlich mehr als früher angenommen.[12]

Die britischen Finanzaufsichtsbehörden Financial Conduct Authority (FCA) und Prudential Regulation Authority arbeiten wohl auch deshalb an Vorschlägen, wie die relativ strengen Bonusregeln für Banker gelockert werden könnten.[13] Nicht hilfreich ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass ein überparteilicher Ausschuss der FCA im November bescheinigte, dass sie in Bezug auf den Verbraucherschutz in UK „bestenfalls Fall inkompetent, aber unehrlich im schlimmsten Fall“ sei.[14]

 

31. Januar 2025

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[1] Quelle: Wikipedia-Eintrag “Brexit”
[2] Quelle: The Economist, 11.04.2024: “Why most people regret Brexit
[3] Quelle: The Independence, 16.01.2025: “Kemi Badenoch to admit Tory ‘no plan’ Brexit was a mistake
[4] Quelle: Bloomberg.com, 01.10.2024: “Starmer starts long road to Brexit revamp with Brussels trip
[5] Quelle: Wikipedia-Eintrag zu internationalen Staatsbesuchen von Keir Starmer
[6] Quelle: Bloomberg, 13.01.2025: “Trump and ongoing Brexit trouble combine to thwart UK trade
[7] Quelle: Bloomberg.com, 23.01.2025: “EU Opens Door for UK to Join Pan-Europe Customs Program”
[8] Quelle: TheCityUK, 15.01.2025: “UK leads world in financial services trade surplus”
[9] Quelle: Reuters.com, 16.10.2024: “Brexit ‚disaster‘ cost London 40,000 finance jobs, City chief says”
[10] Quelle: Bloomberg.com, 11.12.2024: “The UK stock market now trails Oman and Malaysia in IPO rankings
[11] Quelle: Bloomberg.com, 02.07.2024: “M&A activity is accelerating, but Britain needs even more deals
[12] Quelle: Reuters.com, 16.10.2024: “Brexit ‚disaster‘ cost London 40,000 finance jobs, City chief says”
[13] Quelle: Bloomberg.com, 26.11.2024: “UK Will Consider Further Relaxing Rules on London Banker Bonuses”
[14] Quelle: Citywire,com, 26.11.2024: “‘Incompetent at best, dishonest at worst’: MPs attack FCA in scathing report

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Autor

Hagen Gerle

Hagen Gerle ist Spezialist für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen aus der Finanzbranche. Der gelernte Tageszeitungsredakteur und ehemalige Kommunikationsmanager von Fidelity Investments berät seit 1994 vorrangig ausländische Fondsgesellschaften, die seit kurzem im deutschen Markt tätig sind oder ihren Markteintritt dort noch planen.
2002 gründete er sein eigenes Beratungsunternehmen in Frankfurt/Main. Gerle Financial Communications bietet Kunden strategische Beratung, Medienarbeit, Investment writing und die Erstellung von Unternehmenspublikationen. 2011 siedelte Hagen Gerle mit Familie und Geschäft in den Südwesten Englands um, von wo er Finanzunternehmen in verschiedenen Ländern betreut.

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