Das Leben im anthropogenen (menschengemachten) Zeitalter bedeutet für die meisten Spezies dieser Erde nichts Gutes. Die Vielfalt an Arten und die Stabilität von Ökosystemen ist durch den Menschen immer stärker bedroht. Die immer weniger nachhaltigen Lebens- und Verhaltensmuster von zunehmend mehr Menschen führen zu einer spürbaren Verschlechterung der Umfeldbedingungen aller Tiere und vieler Menschen auf unserem Planeten. Die Frage stellt sich, ob der Mensch noch Teil des Ökosystems Erde ist oder er und seine Handlungen nur mehr im Widerspruch zur Natur stehen.
Ein Erhalt von funktionierenden Ökosystemen als Basis für die biologische Vielfalt unserer Welt ist daher das Ziel von nachhaltig denkenden Menschen und Investoren und wird auch von der internationalen Staatengemeinschaft immer mehr als große Herausforderung für die Zukunft erkannt.
Der Begriff Biodiversität oder biologische Vielfalt bezeichnet die Vielfalt des Lebens, anders gesagt, die Variabilität verschiedener lebender Organismen in Ökosystemen an Land und im Meer. Biodiversität beschreibt damit einerseits die Vielfalt zwischen den Arten und andererseits die Vielfalt der Ökosysteme selbst sowie die genetische Vielfalt. Ein nachhaltiger Umgang mit der biologischen Vielfalt der Erde ist eine Grundvoraussetzung für die Zukunftsfähigkeit von Menschen, Fauna und Flora.
Das Thema Biodiversität erhielt erstmals durch die Umweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro eine breite Aufmerksamkeit und gesellschaftspolitische Bedeutung. Ein Jahr später trat die Convention on Biological Diversity, das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD) – ein internationales Umweltabkommen – in Kraft. Aktuell haben 196 Staaten unterzeichnet. Mit zwei Protokollen, dem Cartagena-Protokoll und dem Nagoya-Protokoll existieren zwei völkerrechtlich verbindliche Abkommen zur Umsetzung der Ziele der CBD. Das Cartagena-Protokoll regelt den grenzüberschreitenden Verkehr von gentechnisch veränderten Organismen, während das Nagoya-Protokoll die Aichi-Ziele für den weltweiten Artenschutz festgelegt hat. Die Aichi-Ziele besagten, dass bis 2020 der Verlust an natürlichen Lebensräumen halbiert werden sollte, die Überfischung der Weltmeere gestoppt und 17 % der Landfläche respektive 10 % der Meere unter Schutz gestellt werden sollten. Die Jahre 2011 bis 2020 waren von den Vereinten Nationen zur „Dekade der Biodiversität“ proklamiert worden. Im September 2020 wurde bekannt, dass die Aichi-Biodiversitätsziele nicht erreicht werden konnten.
Biodiversität im Zusammenhang mit der Vielfalt der Arten, Gene und Ökosysteme steht in Wechselwirkung mit der Gesundheit des Menschen. Gesunde und intakte Ökosysteme sind eine wesentliche Grundlage für die menschliche Gesundheit. Sie sorgen für saubere Luft und Trinkwasser, bieten gesunde Nahrung und Basis für Arzneimittel. Weitere Aspekte der Biodiversität sind der Schutz vor Naturgefahren und das Angebot von Erholungs- und Erfahrungsraum, beide sind für die menschliche Psyche und das Wohlbefinden wesentlich.
BODENVERBRAUCH IN ÖSTERREICH
Biodiversität und Bodenverbrauch stehen im klaren Widerspruch zueinander. Auf Basis der Daten des Österreichischen Umweltbundesamtes wurden in Österreich bis zum Jahr 2019 insgesamt 5.729 km2 an Boden verbraucht. Diese Flächeninanspruchnahme entspricht 7 % der Landesfläche und 18 % des Dauersiedlungsraumes. Die Bezeichnung „Bodenverbrauch“ bedeutet, dass biologisch produktiver Boden durch Verbauung und Versiegelung für Siedlungs- und Verkehrszwecke verloren geht. Die Definition umfasst auch intensive Erholungsnutzungen, Deponien, Abbauflächen, Kraftwerksanlagen und ähnliche Intensivnutzungen. Bodenversiegelung bedeutet, dass Boden luft- und wasserdicht abgedeckt wird, wodurch Regenwasser nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen versickern kann.
Die negativen Wirkungen der Bodenversiegelung umfassen neben der Gefährdung der biologischen Vielfalt auch verschiedene andere Aspekte, wie den Verlust der biologischen Funktionen, einen Prozess, der schwer rückgängig gemacht werden kann. Mit der Bodenversiegelung geht auch der Verlust der Produktivität einher, da die meisten Siedlungen in Regionen mit fruchtbarem Ackerland liegen. Außerdem ergeben sich ein erhöhtes Hochwasserrisiko, der Verlust der Staubbindung und Hitzeeffekte, da bei versiegeltem Boden kein Wasser verdunsten kann.
Der wachsende Bodenverbrauch bedeutet, dass sich der Umfang an Österreichs produktiven Böden verringert, wobei der jährliche Verlust im Zeitraum 2001 bis 2019 gemäß Umweltbundesamt zwischen 38 km2 und 104 km2 schwankte. Ab dem Jahr 2009 war eine Verlangsamung des Trends erkennbar, der aktuelle Mittelwert über drei Jahre liegt bei 44 km2, was in etwa der Größe von Eisenstadt entspricht. Dabei liegt der versiegelte Anteil zwischen 32 % und 41 % des jährlichen Bodenverbrauchs. Das Regierungsprogramm 2020–2024 sieht eine deutliche Verringerung des Bodenverbrauchs vor, der jährliche Zuwachs soll bis 2030 auf 9 km2 pro Jahr sinken. Übrigens gilt auf EU-Ebene die Vereinbarung, bis zum Jahr 2050 einen Nettolandverbrauch von null zu erreichen.
KAUSALER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN KLIMAWANDEL UND ABNAHME DER BIODIVERSITÄT
Bis vor einigen Jahrzehnten standen die unbedachte oder gezielte Ausrottung von Spezies und die Übernutzung an der Spitze der Gründe für eine Abnahme von Biodiversität. Mittlerweile führt die Veränderung oder Zerstörung ganzer Ökosysteme zu einem in der Historie bisher beispiellosen Artenrückgang. Ein wesentlicher Grund für den Verlust von Biodiversität ist die fortschreitende Änderung der Landnutzung. Wälder werden abgeholzt und natürliche Ökosysteme umgestaltet, um den Umfang landwirtschaftlich genutzter Flächen zu erhöhen. Neben der Waldvernichtung sind Gewässerverschmutzung, Verbauung von Flüssen, Zersiedelung und Versiegelung von Flächen Ursachen, die den Lebensraum vieler Arten vernichten. Folgen des Verlustes an Biodiversität sind Klimaänderungen, erhöhte Stickstoffbelastung in den Gewässern über Kunstdünger, die Einführung von invasiven Arten und die Erhöhung der Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre. Es zeigt sich, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Abnahme von Biodiversität und dem Phänomen des Klimawandels existiert.
LIVING PLANET INDEX
Der Living Planet Index ist ein Indikator zur Messung biologischer Vielfalt, er basiert auf Trends in der weltweiten Population von verschiedenen Spezies von Wirbeltieren. Der Index wurde vom WWF und dem UNEP Weltüberwachungszentrum für Naturschutz entwickelt. Basis des Living Planet Index ist die Entwicklung von fast 21.000 Populationen von fast 4.000 Wirbeltierarten. Aus dem aktuellen Report aus dem Jahr 2020 geht hervor, dass der Rückgang der biologischen Vielfalt zwischen 1970 und 2016 bei 68 % lag.
NEUN ÖKOLOGISCHE GRENZEN
Auch die neun Belastungsgrenzen des Planeten beschäftigen sich mit dem Thema Biodiversität. In ihrem Konzept über die ökologischen Grenzen der Erde hat die Universität von Stockholm neun Grenzen unseres Planeten definiert und Zukunftsszenarien bezüglich der globalen Umweltveränderungen gezeichnet. Diese Belastungsgrenzen der Erde (oft als „Planetare Grenzen“ bezeichnet) umfassen neben dem Verlust an Biodiversität den Ozonabbau der Stratosphäre, die Einbringung neuartiger Substanzen (wie Mikroplastik, Nanomaterial oder radioaktiven Abfall), den Klimawandel, die Übersäuerung der Ozeane, den Süßwasserverbrauch, die nicht nachhaltige Landnutzung, atmosphärische Aerosole und biochemische Kreisläufe (vor allem die Anreicherung der Ozeane mit Phosphor und Entnahme von Stickstoff aus der Atmosphäre). Aus Sicht der Wissenschaftler ist in bereits vier Fällen die Belastungsgrenze überschritten, es sind dies der Klimawandel, biochemische Kreisläufe, Landnutzung und der Biodiversitätsverlust.
Mögliche Maßnahmen zum Erhalt von Biodiversität sind die Schaffung von Schutzgebieten, die Vorbeugung bezüglich der Ausdehnung invasiver Arten, die Miteinbeziehung von Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei in Konzepte zum Erhalt von Biodiversität sowie die Schaffung starker Institutionen, die den Erhalt der Biodiversität und die nachhaltige Nutzung von Ökosystemen unterstützen und internationalen Abkommen zur Umsetzung verhelfen. Wesentlich erscheint auch die Information der Öffentlichkeit über den Nutzen der Erhaltung von Biodiversität. Biologische Vielfalt erhalten bedeutet auch die Förderung einer nachhaltigen Ausrichtung der Landwirtschaft, die Anpassung und eine Einschränkung der Zunahme der Nährstoffniveaus in Wasser und Boden.
FAZIT & NACHHALTIGKEITSBEWERTUNG
Biodiversität stellt in der Nachhaltigkeitsbewertung auf Unternehmensebene wie auf Staatenebene ein Positivkriterium dar und wird auch in den Zielen für Nachhaltige Entwicklung mit SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) und SDG 14 (Leben unter Wasser) abgebildet.
E (Environment)
Biodiversität und damit verbunden die Artenvielfalt sind ein stark umweltbezogenes Thema, es geht um den Erhalt möglichst vieler Pflanzen- und Tierarten. Dabei sind einerseits die genetische Vielfalt innerhalb einer Art und andererseits die biologische Vielfalt der Lebensräume oder Ökosysteme von Relevanz. Auf Länderebene ist das Thema Biodiversität mit einer Einschätzung der Artenvielfalt – mit Bezug auf Säugetiere, Brutvögel, Reptilien und Fische – ein eigener Punkt der Nachhaltigkeitsanalyse.
S (Social)
Biologische Vielfalt gilt als wichtige Grundlage für das menschliche Wohlergehen. Die Natur stellt dem Menschen verschiedenste Ressourcen zur Verfügung, wie Nahrung, Brennmaterial und Baustoffe. Auch der psychische Aspekt der Biodiversität ist ein wesentlicher Faktor für das menschliche Wohlbefinden.
G (Governance)
Staaten, aber auch Unternehmen müssen Sorge tragen für den Erhalt der Biodiversität. Das auf Staatenebene geschlossene Übereinkommen über die biologische Vielfalt ist ein wichtiger erster Schritt in Richtung des Erhalts der Artenvielfalt.
Fazit
Für Raiffeisen Capital Management ist Biodiversität ein wesentliches Zukunftsthema. Insbesondere bei Investments in Staatsanleihen nimmt es eine wichtige Rolle ein.
09. Juli 2021
Der Text stammt von altii – alternative investor information, veröffentlicht am 24.06.2021.
Die vollständige Ausgabe 32 von Raiffeisen Capital Management’s Nachhaltig Investieren mit Grafiken finden Sie hier als PDF.
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Wolfgang Pinner
Wolfgang Pinner ist seit 2013 Leiter Sustainable & Responsible Investments bei der Raiffeisen KAG. Seinen beruflichen Werdegang begann er 1988 bei der Erste Österreichische Sparkasse, wechselte später zur Investmentbank Austria und wurde 1999 Leiter Investor Relations bei der Bank Austria. 2001 knüpfte er als CIO bei der Vereinigten Pensionskasse (ab 2004 VBV) an, 2006 wurde er Geschäftsführer bei VINIS Gesellschaft für nachhaltigen Vermögensaufbau. Weiter ging es für ihn 2007 als Head of SRI Investment bei ERSTE-SPARINVEST. 2007 absolvierte er zudem ein Executive-Studium an der University of Nottingham, das er mit dem MBA-Titel abschloss.