Aktienausblick: Schwanken zwischen Optimismus und Sorgen für 2020

Die globalen Aktienmärkte haben sich 2019 trotz politischer und konjunktureller Unsicherheiten erholt. Werden die Anleger im Jahr 2020 genauso viel Glück haben? Da viele Risiken weiter bestehen, werden Stildiversifikation und die Suche nach Anlagethemen, die von den Volatilitätstreibern losgelöst sind, wichtige Bestandteile der Aktienallokation sein.

Die Anleger werden auf 2019 als ein merkwürdiges Jahr für Aktien zurückblicken. Nach einer starken Korrektur Ende 2018 stieg der MSCI World Index auf Lokalwährungsbasis um 27%. Doch eine isolierte Betrachtung von 2019 ist irreführend. Tatsächlich haben sich die Aktien nur von der Baisse im Jahr 2018 erholt. Der MSCI World übertraf seinen Höchststand vom September 2018 erst in der zweiten Jahreshälfte 2019 (Abbildung 1, links).

Abbildung 1: Globale Aktienentwicklung 2019

In den entwickelten Märkten führten die US-Standardwerte die globalen Gewinne an (Abbildung 1, rechts). Während die Schwellenländer relativ schwach waren, stiegen chinesische Aktien – vielleicht überraschend – trotz der ständigen Handelsspannungen. Zyklische Aktien trieben die globale Rallye an (Abbildung 2, links). Und auf Stilebene führten Wachstumstitel die Märkte über weite Strecken des Jahres 2019 erneut an (Abbildung 2, rechts), wobei es im dritten Quartal kurzzeitig Anzeichen für ein Comeback der Substanzaktien gab.

Abbildung 2: Aktientrends 2019

Letzte Zuckungen der Hausse?

Sind das die letzten Zuckungen einer seit zehn Jahren andauernden Hausse? Diese Frage stellt sich jedem zum Jahresbeginn – und es gibt keine klare Antwort. Fest steht, dass sich die Anleger trotz der anhaltenden Kursanstiege fragen, ob die dafür verantwortlichen Bedingungen weiter bestehen werden.

Was also trieb Aktien im Jahr 2019 an? Wir glauben, dass die gute Stimmung durch das Ausbleiben der Worst-Case-Szenarien ausgelöst wurde. Das globale Wachstum ist nicht eingebrochen, sondern hat sich in moderaterem Tempo fortgesetzt. Die lockere Geldpolitik der großen Zentralbanken und die historisch niedrigen Zinsen haben Aktien weiterhin strukturell unterstützt. Bis zum Jahresende waren die Bewertungen der globalen Aktienmärkte im historischen Vergleich recht hoch, wobei es jedoch regionale Unterschiede gab. Europäische und japanische Aktien sahen attraktiver aus als ihre US-Konkurrenten (Abbildung 3).

Abbildung 3: Regionale Bewertungen 2019

Volatilität: Es gibt kein Entkommen

Die Kursgewinne verliefen alles andere als gleichmäßig. In den letzten zwei Jahren waren die Aktienmärkte wesentlich volatiler als in den Jahren zuvor. Die globalen Aktien sind in den Jahren 2018 und 2019 an 71 Tagen um mehr als 1% gestiegen oder gefallen, im Vergleich zu nur fünf solcher Tage im Jahr 2017.

Die Unruhe an den Märkten wurde durch reale Sorgen angeheizt. Wird der Handelskrieg zwischen den USA und China beendet oder verschlechtert sich die Lage? Bedroht der Brexit die wirtschaftliche und politische Stabilität Europas? Wie werden die US-Präsidentschaftswahlen verlaufen? Kann die Weltwirtschaft eine Verlangsamung aufhalten? Als das Jahr 2020 begann, wurden die Märkte durch neue geopolitische Spannungen erschüttert, nachdem die USA einen iranischen General mit einem Drohnenangriff getötet hatten und der Iran mit Rache drohte. Die Ölpreise stiegen und die Aktienkurse wackelten inmitten der Angst vor einer umfassenderen militärischen Konfrontation zwischen den USA und dem Iran sowie vor möglichen Auswirkungen auf den gesamten Nahen Osten.

Diese neuen Bedenken überschatteten eine gewisse Beruhigung der Anleger im Dezember über mögliche Erleichterungen an zwei Fronten. Die erste Phase eines Handelsabkommens zwischen den USA und China bot Hoffnung auf eine weitere Deeskalation zwischen den beiden Wirtschaftsmächten. Und der überwältigende Sieg der Konservativen Partei von Boris Johnson bei den britischen Wahlen deutete darauf hin, dass Großbritannien einen klareren Weg zur Vollendung des Brexits haben wird. Dennoch muss in beiden Fällen noch ein langer und steiniger Pfad zurückgelegt werden, bevor die Risiken vollständig entschärft und die Sorgen der Anleger vollständig abgebaut sind.

Schon vor dem Handelskrieg und den Wahlen in Großbritannien waren die Anleger für 2020 zuversichtlicher. Eine Umfrage der Bank of America unter 247 Fondsmanagern, die zwischen dem 6. und 12. Dezember durchgeführt wurde, ergab, dass sich der Optimismus bezüglich des globalen Wirtschaftswachstums nach zwei Jahren der sich abschwächenden Stimmung wieder erholt hat. Konsensanalystenschätzungen gehen davon aus, dass die globalen Unternehmensgewinne im Jahr 2020 um gut 10% steigen werden.

Ist der Optimismus voreilig?

Es ist verlockend zu glauben, dass die Lage sich bessern wird. Wir bevorzugen jedoch eine ausgewogene Betrachtung der Risiken und Chancen. Es gibt echte Gefahren, die nicht ignoriert werden dürfen. Gleichzeitig könnten ein stärkeres Wachstum, eine lockerere Geldpolitik sowie fiskalische Impulse die Voraussetzungen für ein weiteres solides Aktienjahr schaffen. Da es fast unmöglich ist, Wendepunkte in erratischen Märkten vorherzusagen, sollten Anleger unserer Meinung nach in Aktien investiert bleiben, aber mit einem gewissen Grad an Stildiversifizierung, um potenziell heftige Marktschwankungen auszugleichen.

Die Stilmuster des letzten Jahres sprechen dafür, die Stil- und regionalen Engagements genau zu prüfen. Im Jahr 2019 entwickelten sich Wachstumstitel in den meisten Fällen deutlich besser als Substanzaktien. Doch im September haben sich Substanztitel deutlich besser entwickelt und die Aufmerksamkeit auf eine Anlageklasse gelenkt, die während des größten Teils des letzten Jahrzehnts in Ungnade gefallen ist.

Stile und Regionen abwägen

Die Bewertungslücke zwischen den Aktienstilen bleibt extrem. Zum Jahresende wurden globale Wachstumstitel mit einem KGV von 22,8 gehandelt, gegenüber 13,1 für Substanzwerte, basierend auf den MSCI-World-Growth- beziehungsweise -Value-Indizes. Aktien mit geringer Volatilität, die im Laufe des Jahres 2019 recht teuer geworden waren, fielen gegen Ende des Jahres zurück.

Aus regionaler Sicht haben US-Aktien seit der globalen Finanzkrise besser performt als andere entwickelte Märkte. Obwohl US-Aktien immer noch ein wichtiger Bestandteil einer globalen Aktienallokation sind, sollten Anleger, die Amerika übergewichtet haben, unserer Meinung nach ihre Positionierung überdenken.

US-Gesundheitswesen: Dauerhafte Entwicklungen

Bei jeder Aktienallokation ist es unter den aktuellen Bedingungen besonders wichtig, die Anfälligkeit von Positionen für nicht leicht vorhersehbare Risiken frühzeitig zu analysieren. Natürlich lässt sich kein Aktienportfolio von der makro- und marktgetriebenen Volatilität isolieren. Aber Positionen, die konjunkturelle Widerstandsfähigkeit aufweisen, können dazu beitragen, eine gewisse Stabilität gegenüber Marktturbulenzen zu gewährleisten.

In den USA beispielsweise wird das politische Risiko weithin als eine Quelle der Volatilität für den Gesundheitssektor angesehen. Angesichts der Debatte über die Reform der privaten Versicherungen und die Preisgestaltung für Medikamente wird allgemein erwartet, dass Gesundheitsaktien mit dem Näherrücken der US-Präsidentschaftswahlen im November 2020 volatiler werden.

Sollten Aktienanleger den Gesundheitssektor also ganz meiden? Wir denken nein. Einige Unternehmen im Gesundheitswesen, die von positiven Trends profitieren, sind von den politischen Debatten nicht direkt betroffen. In Bereichen wie der Gensequenzierung und der Roboterchirurgie dürfte die Nachfrage nach innovativen Produkten und Dienstleistungen stark bleiben. Gesundheitsunternehmen mit Produkten, die einen klaren Nutzen bieten, die Effizienz des Gesundheitssystems verbessern und profitabel sind, sollten auch noch lange nach dem politischen Trubel – und der damit verbundenen Volatilität der Branche – Ergebnisse liefern können. Auch ausgewählte Krankenversicherer sind für eine eventuelle Neuausrichtung des US-Gesundheitssektors gut positioniert.

Technologie: Anhaltende Trends

Auch Technologietrends mit Durchhaltevermögen sind zu finden. Suchen Sie nach Subbranchen und Unternehmen, die unempfindlich gegenüber den regulatorischen Fragen sind, welche die Begeisterung der Anleger für die Branchentitanen dämpften. Da beispielsweise die Geräte immer kleiner werden, sollten Unternehmen mit technologischen Vorteilen, die die Produktion von qualitativ hochwertigen, immer kleineren Halbleitern ermöglichen, unserer Meinung nach eine solide Nachfrage finden.

Attraktives Potenzial bieten auch IT-Dienstleistungen. Da sich die Unternehmen branchenübergreifend digital wandeln, dürften IT-Dienstleistungen und Technologieunternehmen, die neue cloudbasierte Dienste anbieten, davon profitieren. Denn Digitalisierung ist für Unternehmen keine Option mehr – sie ist unerlässlich, um mehr Effizienz und Profitabilität zu erreichen, insbesondere in einer Welt mit geringem Wachstum.

Gewappnet für die Turbulenzen

Was haben die oben genannten unterschiedlichen Trends gemeinsam? Erstens sind sie nicht direkt an ein makroökonomisches oder politisches Ergebnis gebunden. Das bedeutet nicht, dass die Unternehmen in diesen Branchen immun gegen Volatilität sind, aber es deutet darauf hin, dass sich ihre Fundamentaldaten langfristig durchsetzen sollten. Zweitens erfordert die Suche nach Unternehmen in diesen Bereichen und die Entwicklung einer hohen Überzeugung in ihr Potenzial ein umfassendes Research.

Gleichzeitig ist es unerlässlich, die Gesamtallokation zu diversifizieren. Es wäre unklug, Sektoren und Stile, die sich in letzter Zeit gut entwickelt haben, angesichts der Geschwindigkeit, mit der sich die Stimmung an den Aktienmärkten verändern kann, einfach übergewichtet zu belassen. Alternativ können Kern-Aktienportfolios zur Neutralisierung von Stilverzerrungen verwendet werden, und es können Aktienportfolios mit geringer Volatilität aufgebaut werden, um eine defensive Positionierung für potenzielle Abschwünge zu ermöglichen.

Anleger, die sich 2019 wegen der Volatilität im Jahr 2018 zurückhielten, zahlten einen hohen Preis für die Entscheidung, nicht am Markt zu partizipieren. Indem man mithilfe fundamentalen Researchs Unternehmen findet, die Widrigkeiten trotzen können, und durch den Aufbau strategischer Allokationen Ertragspotenzial bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Volatilität erhält, kann man das nötige Vertrauen aufbauen, um auch in den schwierigen Marktphasen des neuen Jahres investiert zu bleiben.

 

24. Februar 2020

One thought on “Aktienausblick: Schwanken zwischen Optimismus und Sorgen für 2020”

  1. Great content! Super high-quality! Keep it up! 🙂

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Sharon Fay

Sharon Fay ist seit 2010 Co-Head Equities bei AllianceBernstein (AB). Sie stieß 1990 als Research-Analystin zum Unternehmen und verantwortete seitdem mehrere Positionen innerhalb des Portfoliomanagements. Fay verfügt über einen Bachelor-Abschluss der Brown University sowie einen MBA der Harvard Business School. Für AllianceBernstein arbeitet sie vom New Yorker Standort aus.

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Christopher Hogbin

Christopher Hogbin ist seit 2019 Co-Head Equities bei AllianceBernstein (AB). Zuvor zeichnete er als Chief Operating Officer verantwortlich und war zudem seit 2005 in mehreren Rollen innerhalb des Aktien-Research bei AllianceBernstein tätig. Hogbin verfügt über einen Masters-Abschluss der University of Cambridge sowie einen MBA der Harvard Business School. Für AllianceBernstein arbeitet er vom New Yorker Standort aus.

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