Der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Finanzwesen nimmt zu. Eine Studie von Gartner schätzt, dass bis 2025 75 Prozent der Finanzteams KI-gestützte Anwendungen einsetzen werden, um Aufgaben zu automatisieren und Entscheidungsprozesse zu optimieren. Ein gutes Beispiel sind in diesem Zusammenhang Buchhaltungs- und Finanzprozesse, etwa die Verarbeitung von Spesenbelegen, Kartentransaktionen oder Rechnungen. In modernen, durch künstliche Intelligenz gesteuerten Prozessen gelingt es, die Ausgaben digital abzubilden und auf einer Plattform zu vereinigen.
Die Erkennung aller eingespeisten Dokumente geschieht automatisch mittels optischer Zeichenerkennung (OCR). Hinzu kommt Natural Language Processing (NLP), das Computern die Fähigkeit verleiht, Text und gesprochene Wörter ähnlich wie Menschen zu verstehen. Auf Basis der vorhandenen Text- und/oder Datensegmente können alle Ausgaben wie Rechnungen, Kartentransaktionen oder Spesenbelege automatisch verarbeitet werden.
Die Software extrahiert beispielsweise Daten wie Lieferantenname, Belegdatum und Betrag, die KI-Technologie „liest“ die Daten, ordnet sie den richtigen Kategorien zu und verknüpft Bestellung, Lieferschein und Eingangsrechnung. Nach dem Abgleich der Kostenstelle und der Ausgabenkategorie scannt die KI die Informationen. Auf diese Weise entdeckt sie Ausreißer und Richtlinienverstöße, und auch der Vorsteuerabzug für jede Ausgabenart gelingt.
Maschinelles Lernen kommt zum Einsatz, um eine KI-Engine zu trainieren. Diese erkennt dann verschiedene Formate und Layouts von Rechnungen und Spesenbelegen, wodurch sie beim Extrahieren der Daten genauer und effizienter arbeitet. Über nahtlose Integrationen in bestehende ERP-Systeme können Genehmigungsprozesse sowie Unternehmensrichtlinien individuell definiert und jederzeit ohne Programmieraufwand angepasst werden – selbst bei verschiedenen ERP-Systemen an verschiedenen Unternehmensstandorten.
Die KI bei der Datenextraktion macht die manuelle Dateneingabe überflüssig, spart Zeit und eliminiert menschliche Fehler. Zudem erleichtert sie es Finanzteams, Ausgaben zu verfolgen und ihre Finanzen in Echtzeit zu verwalten.
Einsatzgebiete von künstlicher Intelligenz im Detail:
1. Automatisierung von Prozessen im Spesen- und Rechnungsmanagement
Die Automatisierung von Prozessen ist wahrscheinlich der häufigste Anwendungsfall von künstlicher Intelligenz in der Finanzbranche. Im Spesenmanagement nimmt die KI vier Hauptherausforderungen in Angriff – von der Automatisierung zeitaufwendiger manueller Schritte oder der Eliminierung von Fehlern und Verringerung von Risiken über die Durchsetzung der Einhaltung, Gewährleistung der Transparenz und Kontrolle der Ausgaben in Echtzeit. Und sie lernt stetig hinzu: Erschließt ein Unternehmen beispielsweise eine neue, exotische Vertriebsregion und schickt viele Mitarbeiter dorthin, macht sich das in den Ergebnissen der KI schnell bemerkbar: Selbst fremde Schriftarten werden in den Spesenbelegen mit zusehends höherer Trefferquote ausgelesen und den richtigen Kategorien in der Buchhaltung zugeordnet.
Bei der Verarbeitung von Rechnungen hilft künstliche Intelligenz bei verschiedenen Dingen. Sie kann beispielsweise Parameter wie Rechnungsnummer, Lieferantenname, Rechnungsdatum, Fälligkeitsdatum, Währung, Einzelposten oder Mehrwertsteuersatz lesen, extrahieren und den richtigen Kategorien zuordnen.
Beim Hochladen einer Rechnung in das Tool analysiert das KI-Modell die von diesem bestimmten Lieferanten eingereichten Einzelposten und sucht nach Zuordnungen zwischen Schlüsselwörtern und ausgewählten Einzelposten. Nach Abschluss dieser Analyse füllt sie die dedizierten Felder vorab aus, wodurch die Notwendigkeit menschlicher Eingriffe fast vollständig entfällt. Da in den meisten Unternehmen 80 Prozent der Rechnungen von 20 Prozent der Lieferanten stammen, steigen die Genauigkeitsraten, indem das Modell mit lieferantenspezifischen Rechnungen trainiert wird.
Neben diesen Anwendungsfällen beherrschen KI-Algorithmen auch das Abgleichen von Rechnungen mit Bestellungen und Quittungen. Zudem stellen sie sicher, dass die Beträge und Details auf der Rechnung korrekt sind. Dies trägt dazu bei, Überzahlungen und Fehler im Beschaffungsprozess zu vermeiden.
2. Vorsteuerabzug
Außerdem gelingt es mithilfe von KI, den Prozess der Mehrwertsteuer-Rückerstattung (auch Vorsteuerabzug genannt) zu rationalisieren, den Zeit- und Ressourcenaufwand für die Verwaltung von Steuerrückerstattungen (Umsatzsteuervoranmeldungen) zu reduzieren und das Risiko menschlicher Fehler zu minimieren. Dies führt zu erheblichen Kosteneinsparungen und sorgt für mehr Genauigkeit und Effizienz bei der Mehrwertsteuer-Rückerstattung.
Der Prozess umfasst typischerweise die folgenden Schritte:
- Datenerfassung: Der Vorsteuerabzug erfordert das Sammeln von Rechnungen und Quittungen von Einkäufen des Unternehmens. Diese Daten stammen normalerweise aus verschiedenen Quellen (E-Mail-Anhänge, Papierdokumente und digitale Quittungen). Die KI automatisiert diesen Prozess, indem sie Daten aus verschiedenen Quellen extrahiert und in einer einzigen Datenbank speichert.
- Datenvalidierung: Nach ihrer Erfassung müssen die Daten validiert werden, um sicherzustellen, dass sie korrekt und vollständig sind. Die KI vergleicht die extrahierten Daten mit den Originaldokumenten und kennzeichnet etwaige Abweichungen. Dies hilft bei der Identifizierung von Fehlern und garantiert, dass die für den Vorsteuerabzug übermittelten Informationen korrekt sind.
- Kategorisierung: Die Daten müssen nach den relevanten Umsatzsteuer-Codes kategorisiert werden. Die KI analysiert die Daten und weist jeder Transaktion automatisch das entsprechende Umsatzsteuerkennzeichen zu. Dadurch entfällt die manuelle Kategorisierung, die zeitaufwendig und fehleranfällig sein kann.
- Mehrwertsteuer-Berechnung: Nach der Kategorisierung der Daten berechnet das KI-System den Umsatzsteuerbetrag für den Vorsteuerabzug. Dies erfolgt automatisch, spart Zeit und minimiert das Fehlerrisiko.
- Einreichung der Mehrwertsteuer-Rückerstattung: Sobald der Mehrwertsteuer-Betrag berechnet wurde, reicht das KI-System die Mehrwertsteuer-Rückerstattung im Namen des Unternehmens ein. Dadurch entfällt die Notwendigkeit der manuellen Vorbereitung und Einreichung von Mehrwertsteuer-Rückerstattungen.
3. Gewährleistung der Compliance
Für die Compliance müssen Organisationen gesetzliche und steuerrechtliche Anforderungen verstehen, Richtlinien und Verfahren dokumentieren, regelmäßige Audits durchführen, Sicherheitsmaßnahmen implementieren, Mitarbeiter schulen und sich rechtlich beraten lassen.
Auch in einigen dieser Prozesse kann KI tatkräftig unterstützen: Ohne klare Richtlinien und automatisierte Kontrollmechanismen ist es Angestellten möglich, unberechtigte Einkäufe zu tätigen oder fehlerhafte Reisekostenabrechnungen einzureichen. Hierdurch riskiert das Unternehmen Compliance-Verstöße und ihre Konsequenzen. Erkennt die KI jedoch potenziell betrügerische Posten und Richtlinienverstöße – z.B. Überschreitungen der zulässigen Beträge oder Reisekosten, die nicht mit den Unternehmensrichtlinien übereinstimmen – werden diese Posten als Ausreißer markiert und die Quittung wird zur Überprüfung an die genehmigende Person geschickt. Gleichzeitig werden doppelte Belege entsprechend gekennzeichnet und eine Warnung angezeigt, um überhöhte Zahlungen zu vermeiden. In einem einzigen Beleg kann eine automatisierte Technologie über 300 Datenpunkte überprüfen. Dadurch wird das Fehlerrisiko auf ein Minimum reduziert.
4. Genehmigungsprozesse automatisch und in Echtzeit
Da alle Spesen, Kreditkartenausgaben und Rechnungen eines Unternehmens automatisch einen kontrollierten Genehmigungsprozess durchlaufen, steigen die Governance-Standards deutlich. Nur Unregelmäßigkeiten machen ein manuelles Eingreifen der Finanzabteilung nötig.
Beispielsweise gleicht die KI im Rechnungsgenehmigungsablauf die Rechnung mit dem Lieferanten und der Bestellung ab, codiert jede Position und löst einen bestimmten Workflow aus. Für unterschiedliche Entitäten oder Arten von Rechnungen können unterschiedliche Genehmigungsabläufe zum Einsatz kommen, zum Beispiel lieferantenbasierte Genehmigungen, Kostenträgergenehmigungen oder benutzerdefinierte Genehmigungen. Sobald diese Schritte abgeschlossen sind, kommt es zur Buchung der Rechnungen im ERP – der Ausgabenanalyseprozess kann beginnen. Nur Ausreißer, Sonderfälle und verdächtige Vorgänge lösen eine Warnung aus und erfordern noch eine manuelle Prüfung.
5. Betrugsprävention
Traditionell basiert die Betrugserkennung im Finanzwesen auf regelbasierten Systemen, die durch ihre Fähigkeit, nur bekannte Betrugsmuster zu identifizieren, eingeschränkt sind. Mit KI erkennen maschinelle Lernalgorithmen aus früheren Betrugsfällen neue Muster. So steckt in der Spesenabrechnung in Unternehmen ein großes Potenzial, die KI prüft, ob ein Spesenbeleg inhärent Sinn macht: Wurde der Spesenbeleg doppelt eingereicht? Ist das Land, aus dem der Spesenbeleg stammt, deckungsgleich mit dem Land der Reise? Entspricht der eingereichte Betrag dem Tagessatz des Mitarbeiters?
Eine kürzlich durchgeführte Studie ergab, dass KI-Algorithmen herkömmliche regelbasierte Systeme bei der Erkennung betrügerischer Kreditkartentransaktionen um bis zu 20 Prozent übertreffen. Künstliche Intelligenz hilft also auch dabei, große Datensätze zu analysieren und betrügerische Aktivitäten (Kreditkartenbetrug, betrügerische Rechnungen, doppelte Zahlungen, Geldwäsche) in Echtzeit zu identifizieren.
6. Risikomanagement
Die Finanz-KI bewertet Risiken im Zusammenhang mit Finanztransaktionen wie Krediten und Investitionen. Sie kann beispielsweise die Kreditwürdigkeit von Kreditbewerbern unter Berücksichtigung von diversen Faktoren analysieren. Durch die Erkennung von Mustern und Trends sagen KI-Systeme die Wahrscheinlichkeit vorher, dass ein Kreditnehmer in Verzug gerät. Im Gegensatz zu den von Menschen gesteuerten Verfahren ist die KI-Technologie viel effizienter, genauer und konsistenter. Sie nimmt Muster und Beziehungen in den Daten wahr, die Menschen möglicherweise nicht erkennen.
Und das ist nur ein Beispiel: In KI-gestützter Risikobewertung schlummert ein enormes Potenzial, das Entscheidungsfindungen optimiert und Risiken im Finanzsektor reduziert.
7. Ausgabendatenanalysen, Budgetkontrolle und finanzielle Entscheidungsfindung
KI und maschinelle Lernalgorithmen unterstützen Finanzteams dabei, historische Daten zu analysieren sowie Optimierungspotenziale und Trends im Ausgabeverhalten zu erkennen. Die extrahierten Daten stehen dann für Ausgabendatenanalysen und Berichte bereit, was sowohl die Kontrolle über Budgets als auch die finanzielle Entscheidungsfindung verbessert.
Die Datenanalysen ermöglichen den Finanzabteilungen ein neues Selbstverständnis. Ihre Entscheidungen basieren fortan auf verlässlichen Informationen, denn die Unternehmensausgaben stellen eine wichtige Stellschraube dar. So können sie ihre Steuerungsfunktion in Krisenzeiten bestmöglich erfüllen.
Künstliche Intelligenz schafft einen übergreifenden Rahmen, der eine Vielzahl von Prozessen, Methoden oder Tools kontrolliert. Die Implementierung schafft einen neuen Ansatz für Risikomanagement, Cybersicherheit, Transparenz, Betrugsprävention und – was am wichtigsten ist – Nachvollziehbarkeit, Governance und Klarheit für das Unternehmen.
Der Beitrag ist eine Zweitveröffentlichung und wurde bereits im Juni 2023 auf altii.de veröffentlicht.
5. Juli 2023
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Lars Mangelsdorf
Lars Mangelsdorf ist Mitbegründer von Yokoy und leitet das deutsche Team mit Sitz in München. Das Schweizer Fintech ist Anbieter einer KI-gesteuerten Ausgabenmanagement-Plattform für mittelständische und große Unternehmen. Mit Yokoy folgt der diplomierte Wirtschaftsfachmann seiner Leidenschaft, mithilfe von Digitalisierung und Automatisierung komplexe, alltägliche Prozesse in traditionellen Branchen zu vereinfachen und den Ruf der Schweiz als Innovationszentrum zu fördern. In diesem Zusammenhang ist Lars auch ein aktiver Angel Investor für disruptive Technologien. Bevor er Yokoy mitbegründete, sammelte er umfangreiche Erfahrungen in der SaaS-Branche als Senior Account Executive bei Beekeeper, wo er federführend an der Entwicklung der Vertriebsstrategie des Unternehmens beteiligt war. Im Jahr 2021 wurde Lars in die prestigeträchtige Forbes-Liste 30 under 30 aufgenommen.